Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 107, Nr. 18, 16.9.2017, (2021) Wen behandle ich zuerst ? – „Notfälle“ sind oft ethische Nötigung des Zahnarztes Zum Beitrag: „Die klinisch-ethische Falldiskussion: Wen behandle ich zuerst?“, zm 15–16/2017, S. 18–21. Der geschilderte Fall ist doch eigentlich recht praxisfremd. Gemeinhin behandelt man in der Praxis gerade einen Patienten, hat zuvor einen verabschiedet und der Nächste wartet bereits. Der sogenannte „Notfall“ passt da selten zwischen. Darüber hinaus ist der Begriff „zahnärzt- licher Notfall“ wenig definiert. Wie im vorliegenden Fall wird die Interpretation des Patienten meist übernommen. Der Zustand „Schmerz“ bzw. dessen Intensität ist nicht objektivierbar. Es gibt ein großes Klientel, das sich mit der Begründung Not- oder Schmerz- fall kurzfristig, also unter Umge- hung von Wartezeit, mit blumigen Ausschmückungen Zugang zur Behandlung erzwingt oder zu erschleichen sucht. Der Begriff der Nötigung, der ethischen Nötigung, des Zahnarztes durch den Patienten ist bisher noch nicht diskutiert worden. In den vierzig Jahren meiner Tätigkeit ist mir als „Notfall“ alles vorge- kommen zwischen einer falschen Zahnfarbe bis zu einem kurz vorm Durchbruch ins Medias- tinum stehenden 8er-Abszess. Bewährt hat sich bei mir, Notfall- patienten strikt hintanzuhängen; auch vermeintlich längere Pau- sen eignen sich selten für Not- fälle, denn diese bedürfen immer einer sorgfältigen Diagnose und häufig doch umfangreicherer Behandlung. Das berühmte: „Da machen wir mal kurz ...“ führt in den meisten Fällen zu ausufern- den Aktionen. Bei mehreren Schmerzfällen werden diese in der Reihenfolge ihres Eintreffens behandelt und dieses wird ihnen auch so erklärt. Ausnahmen von dieser Regel gibt es selbstver- ständlich. Ich denke da an frisch verunfallte Kinder oder bei der Bundeswehr habe ich sehr wohl vereinzelt Kommandeure vorge- zogen, weil ich von deren beson- derer dienstlicher Belastung wusste. Darüber hinaus gibt es völlig unstrukturierte Menschen, die nie einen Termin einhalten, auch diese gilt es zu ertragen, bzw. zu managen. Wenn der Arzt es aber zulässt, dass der Patient die Behandlungszeiten bestimmt, beginnt ein zunehmender Kon- trollverlust mit allen unguten Nebenerscheinungen für Arzt, Praxis und Behandlung. Letztlich ist für die angemessene Behand- lung die genaue, meist lang- jährige Kenntnis des Patienten ausschlaggebend. Dies kann eine Durchgangspraxis oder die Fast- Food-Take-Away-Mentalität des Patienten nicht leisten. Die politisch bedingten wirtschaftlichen Frik- tionen und die zunehmende Kol- legenschaft aus anderen Kultur- kreisen, die nicht in der Tradition von Humanismus und Aufklärung fußen, bringen viel alltäglichere Probleme ethischer Natur als die Behandlungsreihenfolge un- angemeldeter „Notfälle“. Dr. Jens Wilhelms, Hannover-Ricklingen Per QR-Code gelangen Sie zu allen Leser- briefen auf zm-online. Das sagen Ihre Kollegen LESERBRIEFE AUF ZM - ONLINE
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