Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 107, Nr. 18, 16.9.2017, (2120) notfallmäßige Operation kam zu spät: Miller verstarb am 29. Juli 1907 im Alter von 53 Jahren. Er hat sein Amt an der University of Michigan somit nicht mehr antreten können. Man übertrug die Leitung der neuen Ein- richtung Millers designiertem Assistenten Russell Welford Bunting, der Millers Werk kongenial fortführte [Bunting, 2011]. Das wichtigste Lehrbuch des 19. Jahrhunderts Der Name „Willoughby Dayton Miller“ steht in der Zahnheilkunde für wissenschaft- liche Pionierleistungen. Er gilt als Begründer der oralen Mikrobiologie und als Vorreiter der zahnärztlichen Hygiene. Er entwickelte die chemoparasitäre Kariestheorie, die einen völlig neuen Blick auf die Entstehung von Karies warf und zum zentralen Grundstein moderner Kariestheorien wurde [Dieck, 1908; Parreidt, 1909; Holzhauer, 1962; Groß, 2005]: Miller legte seit 1882 suk- zessive in mehreren publizierten Arbeiten dar, dass Bakterien („Mikrokokken und Bacillen“) der Mundflora Kohlenhydrate zu Säuren abbauen, die ihrerseits zur Ent- kalkung des Zahnschmelzes führen, so dass Bakterien den Zahn penetrieren und die Zahnhartsubstanz zerstören können. Bis zum Jahr 1889 konnte er mehr als hun- dert verschiedene Bakterienarten aus den Mundflüssigkeiten und -belägen isolieren. Ihm gelang auch, den bei der Zahnkaries auftretenden „Erweichungsprozeß“ als säure- bedingte Entkalkung der Zahnhartsubstanz zu erklären. Miller führte aus, dass Bakterien vermehrt in das erweichte Zahnbein ein- dringen, dort ihre Stoffwechselprodukte hinterlassen und so weiter entkalkend wirken. Am Ende steht die Zerstörung des Zahnes. Damit war Miller dem Wesen der Karies auf die Spur gekommen. Er legte seine Erkenntnisse in der 1889 er- schienenen Monografie über „Die Mikro- organismen der Mundhöhle“ nieder [Miller, 1889 und 1890]. Sie gilt vielen Fach- historikern als das wichtigste zahnärztliche Lehrbuch des 19. Jahrhunderts und als zentrales medizinisches Werk – auch vor dem Hintergrund, dass die Zahnkaries als die am weitesten verbreitete Krankheit beimMenschen gilt [Groß, 2005]. Das Buch bildete den Bezugspunkt für zahllose Arbeiten zur Kariologie beziehungsweise zur Kariesprophylaxe und zur oralen Mikro- biologie [Groß, 1994]. Eine ähnliche Wirk- macht entfaltete das 1896 erschienene „Lehrbuch der Conservierenden Zahnheil- kunde“ [Miller, 1896]. Miller verfasste trotz seines vergleichsweise frühen Todes insgesamt mehr als 160 Fach- publikationen [Parreidt, 1909]. Zusammen mit dem US-amerikanischen Zahnarzt Newell Sill Jenkins, der sich ebenfalls in Deutschland – in Dresden – niedergelassen hatte, entwickelte er überdies eine karies- protektive Zahnpasta mit desinfizierenden Inhaltsstoffen [Kolynos, 2011]. Zudem trägt die „Miller-Nadel“ seinen Namen – eine Sonde zum Auffinden von Wurzelkanälen oder Spalten bei Kronenrändern [Hoff- mann-Axthelm, 2000]. Zu seinen Schülern zählte der spätere Bonner Ordinarius Alfred Kantorowicz (1880–1962) [Doyum, 1985]. Miller erhielt Ehrenmitgliedschaften, Me- daillen und sonstige Auszeichnungen von mehr als drei Dutzend zahnärztlichen Gesellschaften in der ganzen Welt, hinzu kamen Ehrendoktorwürden von Universitä- ten. Aus deutscher Sicht ist besonders sein Engagement als Vorsitzender des CVdZ zu würdigen. Während unter seinem Vorgänger die Mitgliederzahlen im CVdZ stagniert hat- ten, entwickelte Willoughby Dayton Miller erfolgreiche Strategien, die letztlich innerhalb von nur sechs Jahren zu einer Vervierfachung der Mitgliederzahlen führten [Groß/Schäfer, 2009]. Auch trat er für eine Akademisierung des Zahnarztberufs ein – eine Forderung, die zwei Jahre nach seinem Tod erfüllt wurde [Parreidt, 1909]. Miller galt als Mann des Ausgleichs. Dies belegt eine Stellungnahme des CVdZ an- lässlich seiner Verabschiedung: „Der Cen- tral-Verein hat mehr als irgend ein anderer Kreis Gelegenheit gehabt, seinen Vorsitzen- den in den Eigenschaften seiner Person, als Mensch, hoch zu schätzen. Mit seiner Tat- kraft in der Vertretung und Förderung der Interessen des Vereins verbindet Miller eine Bescheidenheit des Wesens und eine so große Fähigkeit, beruhigend und ausgleichend zu wirken, daß scharfe Gegensätze unter den Hunderten von Mitgliedern kaum jemals hervorgetreten sind. Und wo solche zu erscheinen drohten, da hat niemand so wie er es verstanden, die Wogen zu glätten [Holzhauer, 1962].“ Vor allem aber profitierte die gesamte deutsche Zahnheilkunde von Millers welt- weitem Ansehen. Wie dankbar die deutsche Zahnärzteschaft Miller war, dokumentiert auch die Tatsache, dass die deutschen Zahnärzte zu Ehren Millers eine Stiftung ins Leben riefen [Holzhauer, 1962]. Mit den Geldern der Millerstiftung wurde bereits 1908 der „Miller-Preis“ inauguriert, der fortan regelmäßig „von den Zinsen für die beste Leistung auf dem Gebiete der wissen- schaftlichen oder praktischen Zahnheil- kunde“ vergeben werden sollte [Parreidt, 1909]. Die später „auf Eis gelegte“ Aus- zeichnung wird seit 1961 wieder regel- mäßig vergeben und gilt – bis heute – als der wichtigste zahnärztliche Wissenschafts- preis in Deutschland [Schäfer/Groß, 2009]. Sie ist zugleich Garant für eine lebendige Erinnerung an den Wissenschaftler und Zahnarzt Willoughby Dayton Miller. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Medizinische Fakultät RWTH Aachen University dgross@ukaachen.de Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 110 Gesellschaft
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