Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 107, Nr. 18, 16.9.2017, (2013) „In einer Welt des Wollens und des Müssens spielt die Wirklichkeit eine untergeordnete Rolle.“ Ich weiß zwar nicht mehr genau, auf welcher zahnärztlichen Fortbildung ich diesen Satz gehört habe, aber er hat mich tief beeindruckt. Fortbildung wirkt. Heute stolperte ich in der FAZ über einen Artikel: „In Topform wie die Alten. Mit 70 noch in die Berge, mit 80 zum Marathon? Kein Problem sagen Sportmediziner …“ Aufgemacht war das Ganze mit einem grau- haarigen Rauschebart-Träger, dessen optische Erscheinung in totalem Gegensatz zu seinem Tun stand. Im Journalismus nennt man diese Diskrepanz Text-Bild-Schere. Was mich zu der Feststellung bringt, dass es mit der Wirklichkeit so eine Sache ist. Jene hängt bekanntermaßen vom Betrachter ab. Wir Menschen „sehen“ das als Realität, was wir als Individuum wahrnehmen. Die Wahr- nehmung ihrerseits ist abhängig von der Leistungsfähigkeit unserer Sinnesorgane und der „Prägung“ unseres Gehirns. Selbst das Sehen – der Inbegriff dessen, was wir Realität nennen – ist nicht im absoluten Sinn „objektiv“, sondern ein geprägter Vor- gang, weil wir zu sehen gelernt haben. Die Wahrnehmung dessen, was man Realität nennt, unterliegt also gestaltenden Ein- flüssen. Wer es versteht und die richtigen Werkzeuge hat, kann die Wahrnehmung gestalten – das ist das Spielfeld der Medien, egal ob analog oder digital, Massenmedium oder Spartensender. Gilt im Übrigen auch für die Bibel. Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte die aus Parteiensicht not- wendige politische Inszenierung von „Wirk- lichkeit“ so auf den Punkt: „Zum Regieren brauche ich Bild, BamS und Glotze!“ Und dennoch ist die Wirklichkeit kein Kon- strukt von Meinungsmachern oder Werbern. Ein Beispiel: Schönheit und Ästhetik sind ein großes Thema. Und ein großes Geschäft, dessen Wachstumsraten nach wie vor enorm sind – 8 bis 10 Prozent pro Jahr. Woher kommt diese große Nachfrage nach schönheitsoptimierenden Dienstleistungen? An eine Berufsgruppe, die sich über das Hei- len von Krankheiten definiert und sich dies „ohne Ansehen der Person“ zu einer Pflicht gemacht hat? Die, zumindest lautet so der unausgesprochene Kodex, Ethik über die Monetik stellt. Und die sich demzufolge mit einem Thema schwertun muss, bei dem – platt formuliert – die Moneten des Patienten die Anforderung an sowie den Leistungs- umfang des Heilkundigen bestimmen. Dies als von den Medien induziert abzutun, wäre zu kurz gesprungen, denn es gibt fun- damentale gesellschaftliche Veränderungen, an der die moderne Medizin ursächlich beteiligt – man könnte auch sagen schuld – ist. Wir werden immer älter und viele, sehr viele, bleiben dabei dank moderner Medizin auch immer gesünder und fitter. Damit ein- her gehen Ansprüche an das Leben, als ob 70-Jährige noch 40 seien. Unter Medizinern herrscht bis zu diesem Punkt weitestgehend Einigkeit. Bis, ja bis die plastische Chirurgie ins Spiel kommt, weil die Folge der dank des medizinischen Fortschritts älter Geworde- nen ja gerade der Verlust der Schönheit ist. Der Plastische Chirurg Dr. Markus Klöppel beschreibt die Situation so: „Ästhetische Chirurgie schließt oder harmonisiert letzt- lich nur die Lücke der innerlich gefühlten Gesundheit und dem äußeren Erscheinungs- bild“. Aber was ist mit all den jungen Patienten, die dem gesellschaftlichen Trend des perfekt-sein-Müssens folgend sich „optimieren“ lassen wollen? Wie man diesen Wunsch einschätzt und einen wie auch immer gearteten Eingriff unterstützt oder ablehnt, muss jeder Arzt und Zahnarzt im Einzelfall unter sorgfältiger Abwägung des medizinischen Sachverhalts selber beurteilen. Gerade die Zahnmedizin verfügt jedoch heute über ein enormes Armentarium an Methoden, die von nicht bis wenig invasiv das Lebensgefühl immens verbessern können. Ein Anfang wäre, offen mit den Patienten darüber zu reden oder wenigstens positiv zu reagieren. Auch die Ästhetik weißer Zähne ist eine zahnärztliche Aufgabe, so die Einordnung von Prof. Robert Sader und Prof. Roland Frankenberger (Seite 16). Eine, die – wohlgemerkt – ausschließlich in die zahnärztliche Wirklichkeit gehört. Foto: zm-Axentis.de Die Sache mit der Wirklichkeit Dr. Uwe Axel Richter Chefredakteur 3 Editorial
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