Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 107, Nr. 18, 16.9.2017, (2091) 1990er-Jahre für jene Indikation propagiert [48], allerdings ohne den Erfolg durch lang- fristige klinische oder histologische Unter- suchungen zu belegen. Dentinadhäsiv- beziehungsweise Komposit- bestandteile kommen dabei in direkten Kontakt mit Zellen des vitalen Pulpa-Dentin- Komplexes. Hinter dieser Vorgehensweise steht der Grundgedanke, dass es sich bei dem Überkappungsmaterial nicht um ein Medikament handeln muss, das eine Hart- gewebsbildung initiiert. Wichtig sei viel- mehr, dass eine sekundäre (nach Legen der Füllung) Besiedlung der Pulpa mit Bakterien durch einen absolut dichten Randschluss verhindert wird. Daher eignen sich Dentin- adhäsive nach Meinung einiger Autoren be- sonders zur Überkappung, denn aufgrund der guten Abdichtungseigenschaften kann eine (Re)Infektion der Pulpa verhindert wer- den [2, 20]. Dass Dentinadhäsive die Fähig- keit besitzen, einen dichten Verbund von Dentin mit Kompositmaterial zu erzielen, ist hinreichend untersucht. Bis heute gibt es allerdings keine tierexperi- mentellen Studien, die eine eindeutige Über- legenheit der Überkappung mit Dentin- adhäsiven im Vergleich zu Calciumhydroxid nachweisen konnten. Die meisten am Menschen durchgeführten Untersuchungen dagegen zeigten eindeutig, dass eine Über- kappung mit Dentinadhäsiven aufgrund der signifikant schlechteren histologischen Ergebnisse abzulehnen ist [28]. Obwohl die pathologischen Reaktionen der Pulpa auf eine Überkappung hauptsächlich durch Bakterien bedingt sind, ist es sehr wohl möglich, dass auch Bestandteile aus Kompositen zu Misserfolgen beitragen [8, 18], denn grundsätzlich sind Dentinadhäsive als pulpatoxisch einzustufen [18, 24]. Schon seit Langem ist nachgewiesen, dass Mono- merbestandteile aus Dentinadhäsiven und Kompositen auf menschlichen Pulpazellen bei direktem Kontakt zytotoxisch wirken [12, 44, 51, 62]. Auch die Applikation von Dentinadhäsiv auf eine dünne Schicht Dentin (0,5 mm) führt sowohl zu einer Er- weiterung der Blutgefäße und Blutstau als auch zu einer chronischen Entzündung des Pulpagewebes [46]. Nicht oder nur teilweise polymerisierte Dentinadhäsive verursachen eine Apoptose (programmierter Zelltod) bei verschieden Arten von Pulpazellen, zum Beispiel Makrophagen, undifferenzierten Pulpazellen und Odontoblasten-ähnlichen Zellen [62]. Neben Monomeren aus Dentinadhäsiven können identische zytotoxische Bestandteile auch aus Kompositen freigesetzt werden, die dann durch Dentintubuli penetrieren, in das Pulpagewebe eindringen und dort zu einer Pulpaschädigung führen [13, 72]. Auch tiefe Kavitäten (ohne Pulpafreilegung) stellen hier ein Problem dar, da einerseits die Restdentinstärke über der Pulpa sehr gering ist und es zu einem Ausstrom von Gewebe- flüssigkeit aus den angeschnittenen Dentin- tubuli kommt. Diese Feuchtigkeit verhindert die vollständige Polymerisation. Zusätzlich kann die vollständige Polymerisation durch zu dicke Kompositschichten, die nur unge- nügend von Licht durchdrungen werden können, verhindert werden [64]. Beide Fak- toren führen zu einem erhöhten Anteil von freien Restmonomeren, die dann aus dem Kompositmaterial freigesetzt werden und in das Pulpagewebe diffundieren. In klinischen Studien resultiert daher nach Anwendung von Dentinadhäsiven in tiefen Kavitäten ver- gleichsweise häufig eine Pulpanekrose [87]. Sowohl aus unpolymerisierten als auch aus polymerisierten sowie gealterten Dentin- adhäsiven werden chemische Bestandteile freigesetzt, die zytotoxisch wirken [18]. Die Zytotoxizität der Inhaltsstoffe von Dentin- adhäsiven kann als Erklärung für das schlechte Abschneiden der direkten Über- kappung mit Dentinadhäsiven amMenschen [1] und im Tierexperiment [24] dienen. Monomere aus den Füllungsmaterialien (Dentinadhäsive/Komposite) gehen darüber hinaus möglicherweise eine Wechselwirkung mit dem Immunsystem der Pulpa ein und schwächen so deren Abwehr bei der Invasion von Mikroorganismen [8, 18]. In direktem Kontakt mit Dentinadhäsiven beziehungs- weise Kompositen kommt es vermutlich zu einer Reduktion der Abwehrleistung der Pulpa, entweder bedingt durch die Zyto- toxizität oder durch spezifische Änderungen der Immunantwort [52]. Adhäsivbestand- teile inhibieren demnach die Proliferation von immunkompetenten Zellen und verur-
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