Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 107, Nr. 18, 16.9.2017, (2094) Nachgewiesenermaßen können Calcium- silikat-Zemente die Pulpa zur Bildung von Hartgewebe (Tertiärdentin) stimulieren und sind daher für die Versorgung tiefer kariöser Defekte nach Exkavation und somit für die Vitalerhaltung der Pulpa sehr gut geeignet [15, 21]. Nach indirekter Überkappung mit Biodentine kommt es reproduzierbar zur Aus- heilung einer reversiblen Pulpitis [45]. Auch wenn mehr klinische Langzeitstudien zur Vitalerhaltung der Pulpa mit Calciumsilikat- Zementen wünschenswert sind, scheinen nach bisheriger Datenlage Calciumsilikat- Zemente für die indirekte Überkappung der Pulpa besser geeignet zu sein als Calcium- hydroxid [2]. Für die direkte Überkappung wurde nachgewiesen, dass Calciumsilikat- Zemente zu besseren klinischen Ergebnissen und höheren Erfolgsraten führt als Calcium- hydroxid [50, 60, 63]. Hinsichtlich der Hart- gewebebildung ist es dabei unerheblich, ob man ein MTA-Zement oder Biodentine ver- wendet. Beide Arten von Calciumsilikat- Zement führen beim Menschen zu einer identischen Hartgewebsbrückenbildung [68] (Abbildungen 3 bis 10). Zusammenfassung Das menschliche Dentin kann in primäres, sekundäres und tertiäres unterteilt werden. Das primäre Dentin wird vor Zahndurch- bruch gebildet, das sekundäre ein Leben lang. Die Primär- und Sekundärdentin- bildung ist ein physiologischer Vorgang und erfolgt durch Odontoblasten. Diese sind postmitotische Zellen, die bei Verlust nicht ersetzt werden können. Kommt es zum Beispiel durch Karies und/oder Kavitä- tenpräparation zu einer Verletzung der Odontoblastenfortsätze in den Dentintubuli, führt dies zur Bildung von Tertiärdentin, das auch als Reaktionsdentin bezeichnet werden kann. Das Reaktionsdentin wird, wie das Primär- und Sekundärdentin, von den pri- mären Odontoblasten gebildet. Durch die Verletzung des Dentins und der Odonto- blastenfortsätze kommt es zu einer Frei- setzung von Wachstumsfaktoren, was die Reaktionsdentinbildung positiv beeinflusst. Kommt es zum Beispiel bei einer Pulpa- freilegung zu einem Verlust des primären Odontoblasten, kann kein physiologisches Dentin mehr gebildet werden. Trotzdem ist nach direkter Überkappung eine Hart- gewebsbrückenbildung zu beobachten. Dieses Hartgewebe ist ein spezielles Tertiär- dentin und wird auch als Reparaturdentin bezeichnet, wobei fraglich ist, ob man dieses Hartgewebe überhaupt als Dentin charakterisieren kann, da es amorph und atubulär ist. Bisher ist nicht geklärt, welche Zellen dieses Reparaturdentin bilden. So wurde die Umwandlung anderer Pulpa- zellen in sogenannte sekundäre Odonto- blasten beschrieben (Metaplasie). Eine andere Theorie geht davon aus, dass Höhlzellen, die sich in der Embryogenese zusammen mit den Odontoblasten bilden, diese bei Verlust ersetzen können. Auch wurden multipotente, adulte Stammzellen in der Pulpa nachgewiesen, die sich möglicher- weise in Ersatzodontoblasten umwandeln können. Solche sekundären Odontoblasten konnten aber bisher histologisch nach direkter Überkappung nicht nachgewiesen werden. Vermutlich handelt es sich daher bei der Hartgewebsbildung um eine dystro- phische Mineralisation von Narbengewebe. Reaktions- und Reparaturdentinbildung lau- fen parallel in einer Kavität ab. Ein Material für die Überkappung der Pulpa sollte idealerweise die Zellen zur Hartgewebs- bildung anregen, dabei antibakteriell wirken und nicht zytotoxisch sein. Im Falle einer Pulpafreilegung muss das Überkappungs- material in der Lage sein, die Eröffnungs- stelle dicht zu verschließen, ohne resorbiert zu werden. Wässrige Calciumhydroxid-Sus- pensionen werden seit vielen Jahrzehnten mit hohen Erfolgsquoten für diesen Zweck eingesetzt. Trotzdem hat Calciumhydroxid einige Nachteile wie Resorptionserscheinun- gen und mangelnde Stabilität. Eine gute Alternative stellen daher neuerdings hydrau- lische Calciumsilikatzemente wie Mineral Trioxide Aggregate (MTA) oder Biodentine dar. Alle anderen Materialien wie Calcium- salicylatester-Zemente, Dentinadhäsive, lichthärtende Liner und mehr können nach derzeitiger Datenlage für die Überkappung der Pulpa nicht empfohlen werden. Prof. Dr. Till Dammaschke Westfälische Wilhelms-Universität Münster Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude W 30, 48149 Münster tillda@uni-muenster.de Nachdruck aus: Dammaschke T: Dentin- und Hartgewebe- neubildung nach indirekter und direkter Überkappung der Pulpa. Oralprophylaxe Kinderzahnheilkd 2017; 39: 27–37 DOI 10.3238/OPKZH.2017.0027–0037 Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass er Honorare der Firma Septodont für Vorträge erhalten hat. Abbildung 10: Der drei Jahre nach direkter Überkappung aufgenommene Zahnfilm zeigte keine pathologischen Veränderungen apikal an Zahn 25. Abbildung 10 zuerst in: Dental Magazin 2015; 33(2): 50–52 Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 84 Zahnmedizin
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