Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 107, Nr. 19, 1.10.2017, (2262) verschiedene Risiko-Gene geprägt wird. Als Auslöser der Angst fungieren epigenetische Faktoren, die ihrerseits durch Umwelt- faktoren wie Stress oder belastende Lebens- ereignisse bedingt sein können. Es kann sich dabei auch um Erlebnisse in der Kindheit handeln wie der Tod eines Elternteils oder die Scheidung der Eltern. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben festgestellt, dass nicht unbedingt eigene traumatische Erlebnisse auslösend sind: Das Beobachten traumatischer Erlebnisse anderer reicht, um in der Folge Angst zu erleben. Angst kann damit regelrecht erlernt werden, ein Effekt, der offenbar durch endogene Opioide vermittelt wird. Evolutionsbiologisch macht das soziale Lernen von Ängsten durchaus Sinn: Wer in der Lage ist, aus den schmerz- haften Erfahrungen anderer zu lernen, ist für künftige Bedrohungen besser gewappnet, ohne zuvor selbst diese schmerzhaften Erfahrungen machen zu müssen, erklärt der Hamburger Neurowissenschaftler Dr. Jan Haaker. Diagnostik: Angsterkrankungen werden oft- mals als solche nicht wahrgenommen und durch das Auftreten somatischer Symptome fehlgedeutet. Da die Angststörung objektiv oft schwer zu fassen ist, spielt die Differen- zialdiagnostik eine wichtige Rolle. Den Leit- linien entsprechend sind vor allem Lungen- erkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen auszuschließen, ebenso neurologische Erkrankungen, Tumore sowie endokrine Störungen. Gegebenenfalls müssen weitere Krankheitsbilder in Betracht gezogen und abgeklärt werden, zum Beispiel eine peri- phere Vestibularisstörung und ein benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel. Therapien: Wegweisende Schritte sind das Eingeständnis der Angsterkrankung und die Bereitschaft, medizinische Hilfe anzunehmen. Eine eindeutige Behandlungsindikation be- steht den Leitlinien der Fachgesellschaft zu- folge bei mittlerem bis schwerem Leidens- druck des Patienten, wenn die Gedanken ständig um die Angst kreisen, sowie bei psychosozialen Einschränkungen und mög- lichen Komplikationen wie einer Chronifi- zierung und der Entwicklung einer Sucht- erkrankung. Als Behandlungsziele werden konkret genannt: \ Besserung der Angstsymptome \ Minderung des Vermeidungsverhaltens \ Reduktion der Rezidivgefahr \ Besserung der Bewegungseinschränkungen \ Besserung der sozialen Integration \ Wiederherstellung der berufliche Leis- tungsfähigkeit \ Besserung der Lebensqualität Die möglichen Behandlungsmaßnahmen reichen von Entspannungsverfahren wie der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson, Yoga und Autogenem Training über psychotherapeutische Verfahren (ko- gnitive Verhaltenstherapie) bis zur Behand- lung mit Psychopharmaka. Außerdem können allgemeine Maßnahmen wie regelmäßige sportliche Betätigung Angststörungen mindern und die Effekte einer Psycho- oder Pharmakotherapie unter- stützen. Die Patienten und die Angehörigen können zudem in Selbsthilfe- und Angehöri- gengruppen Unterstützung erhalten. Christine Vetter Medizinische Fachjournalistin \ S3-Leitlinie „Behandlung von Angst- störungen“: www.awmf.de \ Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN): www.dgppn.de \ Neurologen und Psychiater im Netz: www.neurologen-und-psychiater-im- netz.org Weitere Informationen und Quellen Fotos: Wölber Angst vor der Zahn- behandlung ist der häufigste Grund für Patienten, einen Ter- min beim Zahnarzt aufzuschieben. Unser Hintergrundartikel zum Thema zeigt, wie sie am besten über Diagnose und Therapie aufklären. Mithilfe der Fortbildung „Patienten mit Zahn- behandlungsangst“ können Sie Ihr Wissen zum richtigen Um- gang mit dieser Patientengruppe vertiefen. Am Beginn einer erfolg- reichen Therapie – ge- rade bei Angstpatien- ten – steht der Dialog zwischen Zahnarzt und Patient. Aber wie gelingt eine gute Kom- munikation? Unsere vierteilige Videoserie zeigt es anhand von Beispielsituatio- nen. Umgang mit Angstpatienten 108 Medizin
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