Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 107, Nr. 19, 1.10.2017, (2166) Anspruch auf Wahrheit und ver- urteilt in einem großen, polemi- schen und polarisierenden Rund- umschlag alles, was irgendwie vom derzeitigen(!) Mainstream der Wissenschaft abweicht: Was er aussagt, ist viel subjektive Mei- nung, wenig belastbare objektive Wissenschaftlichkeit, für die er ja vorgibt, einzustehen. Geht es auch rationaler, nüchterner? Nein, denn so sind die Fundamentalisten. Sie möchten nicht diskutieren. Sie möchten verbieten. Was „Irrsinn“ ist, bestimmen sie. Anstatt beispielsweise darüber zu diskutieren, wie wir mit der zu- nehmenden Zahl von Allergikern, Atopikern und multimorbiden Patienten in unserem Fachgebiet umgehen (der Epicutantest ist da nun wirklich keine Lösung!), wird lieber in einem Rundumschlag gegen „esoterischen Mumpitz“, gegen die „viel zu hohe Zahl der Impfgegner und der Sekten in unserem Land“ gewettert. Man könnte sich achselzuckend von dieser Niveaulosigkeit abwenden und sich nicht angesprochen fühlen, wenn man nicht wissen würde, dass hinter dieser bewusst verächtlich machenden Polemik die Ausschaltung von allem und jedem steht, was derzeit Mei- nung der derzeitigen Hochschul- Vertreter und ihres Drittmittel lastigen Hintergrundes ist. „Patientenschutz“ ist kein belast- bares Argument Wie eingangs gezeigt wurde, kann sich die Sichtweise der Wis- senschaft verändern. In einer in Denkschablonen zementierten Wissenschaftswelt allerdings we- niger schnell. In der Natur gibt es keine endgültigen Wahrheiten: Mutationen können sich als Irr- tum erweisen – oder als Vorläufer des Mainstreams und des Erfolgs von morgen. Daher ist die Thera- piefreiheit und die Pluralität in der Medizin eine Conditio sine qua non. Auch ist ärztlicher „Hokuspokus“ keinesfalls auf Heilpraktiker und sektiererische Esoteriker beschränkt: Bertelsen selbst hat in den Zahnärztlichen Mitteilungen (Heft 5/2016) einen spektakulären, auch im SPIEGEL veröffentlichten Fall dargestellt, wie ein Patient mit einem simp- len odontogenen Abszess zwei Jahre lang eine wahre Odyssee durch Fehldiagnosen und -be- handlungen seiner behandeln- den Ärzte erlitten hat. Auch die Mainstream-Medizin wird von Menschen vertreten, sie ist daher weder in der Theorie noch in der Praxis der Hort der „reinen Lehre“ und der ewige Garant für eine menschenwürdige, rationale und rationelle Behandlung. Einig sind wir uns, dass man mit Ho- möopathie weder anorganisches noch methyliertes Quecksilber ausleiten kann und dass es un- ethisch ist, verzweifelten Tumor- Patienten für viel Geld falsche Hoffnungen zu machen. Tumor- patienten sind aber auch nicht die Klientel der Zahnärzte. Auch dann nicht, wenn sie zugleich Heilpraktiker sind. Ebenso wenig haben wir als Zahnärzte etwas auszusagen zum Für und Wider einzelner Impfungen oder gar des „Impfens“ an und für sich. Daher kann man die entspre- chenden Aussagen Bertelsens nur als Stimmungsmache werten. Billig, weil es (derzeit, auch das kann sich wieder ändern!) gerade Konjunktur hat, jedwede kritische Stimme zur Impfproblematik als Brunnenvergifter und Volks- schädling zu denunzieren. Ratio- nal geführte Diskussionen sehen anders aus. Wenn es gute Argumente gegen Homöopathie und die Jahrtau- sende alte Medizinsystematik der Meridiane gibt, dann reicht es doch, diese vorzubringen, anstatt sie mit einem trotzigen „Dem Irrsinn muss ein Ende gesetzt werden!“ erst polemisch mit Hüt- chenspielern und Horoskopen in einen Topf zu werfen und dann verbal zu verbrennen. Wer als Patient nicht richtig behandelt wird, hat das Recht, zu klagen. Die Ungeduld und Polemik ist daher kein Beitrag zum Patien- tenschutz. Allerdings einer zur Zerstörung des Burgfriedens. Ich werde niemals Menschen ver- stehen, die mit dem Finger auf andere zeigen, anstatt sich täglich darum zu bemühen, selbst besser zu werden und ihren Patienten bestmöglich zu helfen. \ 12 Leserforum: Zahnärzte als Heilpraktiker Die Ausbildung der Heilpraktiker ist völlig unzureichend Der Verfasser ist der Redaktion bekannt Mit seinem Artikel hat Herr Dr. Bertelsen offenbar in einWespen- nest gestoßen, was sich auch der gleich gefolgten Replik der Heil- praktiker entnehmen lässt. Ich persönlich halte nur die Abschaf- fungslösung für konsequent. Da es jedoch einen ganzen Berufs- stand betrifft und die Heilprak- tiker in Deutschland in unserer Gesellschaft weiterhin aus uner- findlichen Gründen ein hohes Ansehen erfahren, halte ich diese Lösung für schwer durchsetzbar. Ich bin der Meinung, wenn sich eine Abschaffung nicht durch- setzen lässt, sollten zumindest die Berufsausübungsordnung der Heilpraktiker, deren Befugnisse überdacht und stark einge- schränkt werden. Außerdem halte ich die Ausbildungsanforderun- gen für völlig unzureichend. Zum Beispiel besteht die schriftliche Prüfung ausschließlich aus einem Multiple-Choice-Verfahren, wobei viele Fragen zum Üben bereits im Internet kursieren. Man muss sich mal vorstellen, dass diese Leute eigenverantwortlich am Menschen/Patienten arbeiten und teilweise gerade einmal ei- nen 10te Klasse-Abschluss auf- weisen. Ich wage zu bezweifeln, dass sie der enormen Verantwor- tungsanforderung immer voll und ganz gerecht werden kön- nen. Ein unhaltbarer Zustand. Die Kombination von Zahnarzt und Heilpraktiker halte ich auch für absolut unsinnig. Die Frage, die sich mir stellt ist, wie die Ex- perten die Abschaffungslösung durchsetzen möchten. \ Foto: zm-mg
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