Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19

zm 107, Nr. 19, 1.10.2017, (2170) Replik „Alles gehört auf denselben Prüfstand“ Das Münsteraner Memorandum hat eine längst überfällige Diskussion in Gang gebracht, denn es darf kein „zweierlei Maß“ geben. Sowohl bei der Definition, ob eine Methode wirkt, als auch im Streitfall vor Ge- richt muss es für gesetzlich Versicher- te vor allem eines geben: allgemein- verbindliche Standards. Juristisch zählt im Fall eines Streits nur die Aus- sage eines Gutachters. Im Bereich der sogenannten „Alternativmedizin“ existieren keinerlei Standards, folglich gibt es auch keine juristisch verwert- baren Gutachten. Ein durch fehlende Standards entstehender rechtsfreier Raum ist aber mit ethischen Grund- prinzipien nicht vereinbar. Im Bereich der akademischen Medi- zin gibt es viele Missstände, die vom Münsteraner Kreis benannt werden. Missstände, die – sollten sie weiterhin fortdauern – in der Folge zu einer Nachfrage bei Heilpraktikern führen können. So sind viele GKV-Patienten unzufrieden mit der Ausführlichkeit einer ärztlichen Beratung. Oftmals wird beklagt, der Arzt habe viel zu wenig Zeit. Im Bereich der GKV wird eine ärztliche Beratung mit 9,- Euro vergütet und ist damit nahezu wertlos. Dieser Missstand darf aber nicht dazu führen, das lebenswichtige ärztliche Gespräch als Element der Grundver- sorgung nur in der Kombination mit kruden Methoden, deren Theorien auf der „Säftelehre“ des Mittelalters beruhen, zu verknüpfen. Es ist drin- gend geboten, in der medizinischen Versorgung Freiheiten zu erhalten, Missstände zu benennen und Fehl- anreize abzuschaffen. Die GKV-Ver- gütungen der Sprechenden Medizin müssen den Betriebskosten einer Praxis angenähert sein, damit auch der Landarzt eine Überlebenschance bekommt und Patienten im ländlichen Bereich nicht vom Heiler abhängig werden. Schon jetzt herrschen in ländlichen Bereichen kritische Zustände bei der hausärztlichen Grundversor- gung. Was für Privatpatienten längst Standard ist, darf nicht länger ihr Privileg bleiben, sondern muss auch für gesetzlich Versicherte gelten: Der kommunikative Austausch im Rah- men zeitaufwendiger Anamnesen, zum Beispiel bei Tumorkranken oder polymorbiden Patienten, ist lebens- wichtig und muss daher ermöglicht werden – zum Beispiel in Form einer „Intensivberatung“. Die Vergütung für eine Intensivberatung kann sich hierbei an dem Niveau einer „Homöopathischen Anamnese“ orientieren. Kommunikativer Austausch im Be- reich der GKV darf keine esoterische Zwangsverpackung erhalten – auch und gerade nicht aus Gefälligkeit, weil „Patienten es wünschen“. Denn das wäre ein handfester Etiketten- schwindel und würde bedeuten, die drei Grundprinzipien des Sozial- gesetzbuches „ausreichend, wirt- schaftlich und zweckmäßig“ zu verraten, um sie durch die Attribute „abergläubisch, beliebig und gefällig- keitsorientiert“ zu ersetzen. Der Bun- desgesetzgeber ist hier aufgerufen, die „besonderen Therapierichtungen“ abzuschaffen. Alles gehört auf den- selben Prüfstand. Wenn Leistungen, die heute der „Alternativmedizin“ zu- geordnet werden, ein vernünftiges Nutzen-Schaden-Verhältnis haben, gehören sie in den allgemeinen Leistungskatalog. Ungeprüft jedoch, gehören sie weder durch die künst- lich anmutende Legitimation von „Selektivverträgen“ in den großen Topf, noch auf eine Extra-Rechnung der von hohen Beiträgen ohnehin schon arg gebeutelten Solidar- gemeinschaft der gesetzlich Versicherten. ! 16 Leserforum: Zahnärzte als Heilpraktiker Dr. Hans-Werner Bertelsen, Mitglied der Expertengruppe im „Münsteraner Kreis“, ist Zahnarzt in Bremen und Mitglied im Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM). Foto: privat

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