Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 107, Nr. 19, 1.10.2017, (2196) Freiwilligen-Initiative RAM (Remote Area Medical). RAM wurde 1985 gegründet, um ärztliche Versorgung in krisengeschüttelte Weltregionen zu bringen. Inzwischen kämpfen die Behandler auch gegen die Krise vor der eigenen Haustür und reisen mit ihren mobilen Einheiten in struktur- schwache Gegenden der USA. Dort ziehen sie an einem Wochenende Hunderte, manchmal Tausende Zähne. Am anderen Ende des sozialen Spektrums stehen die finanzstarken Kunden der kos- metischen Zahnmedizin. Nicht umsonst ist das „All American Smile“, das strahlend weiße Lächeln, zur weltweiten Marke ge- worden – auch der aktuelle Präsident trägt es. 110 Milliarden Dollar setzt die US- Dentalindustrie im Jahr um. Über 1 Milliarde geben US-Bürger jährlich für Bleaching-Pro- dukte aus. Ob Veneers für 1.000 Dollar das Stück, begradigende Spangen, Zahnfleisch- korrekturen oder Botoxinjektionen – seit den 1980er-Jahren hat sich die US-Zahn- medizin zunehmend der Schönheitsindustrie geöffnet. In ihrem Buch stellt Otto der Geschichte von Deamonte Driver ein anderes Extrem aus demselben Bundesstaat entgegen. Mame Adjei wurde 2015 zur Miss Maryland gekürt. Die ghanaisch-amerikanische Studentin hatte, wie es sich für eine Schönheitskönigin 12. August 2011: Hunderte Patienten stehen in Woodstock (Georgia) Schlange, um sich kostenlos zahnmedizinisch versorgen zu lassen. Foto: picture alliance Traditionell leben viele Menschen in den USA ohne zahnmedizinische Ver- sicherung, was schon immer zu Versor- gungsproblemen, insbesondere bei der ärmeren Bevölkerungsschicht geführt hat. Das hat zur Folge, dass ein großer Teil der Bevölkerung zahnmedizinische Leistungen nur gegen Bezahlung erhält. Individuelle Selbstver- antwortung wird in den Ver- einigten Staaten seit Jahr- zehnten anders beurteilt als in Europa. Die Einzelleistungsvergütung für zahnmedizinische Leis- tungen liegt in den USA schon lange deutlich oberhalb der deut- schen Vergütungsbepreisung. Zahnärzte praktizieren in der Regel als Privatzahn- ärzte, die Medicaid-Patienten annehmen können oder auch nicht. Da aber bei diesen Programmen die Bürokratie hoch ist und die Bezahlung nur bei rund 50 Prozent der Privatpreise liegt, gibt es Gegenden, in denen Medicaid-Patienten wohnortnah keinen Behandler finden. Es gibt in den USA keinen Sicherstellungs- auftrag, den eine zahnärztliche Selbst- verwaltung organisiert. Prävention wird in den USA durch über 50 Jahre Trinkwasserfluoridierung und Individualprophylaxe in Zahnarztpra- xen organisiert, der Stand der Gruppenprophylaxe entzieht sich meiner Kenntnis. Das „Milken Institute of Public Health“ hat dokumentiert, dass zwischen 2000 und 2012 der Anstieg von präventiven zahnärztlichen Behandlungen bei Medicaid- Patienten in der Altersgruppe 0 bis 20 Jahre von 29 auf 48 Prozent zugenom- men hat. Ästhetische Zahnmedizin in Form von generellem Bleaching und „white restora- tions“ ist in den USA schon zeitlich früher und stärker ausgeprägt gewesen als in Deutschland. In dem Artikel wird von Investitionen von 1 Milliarde Dollar ge- sprochen – bei Gesamtausgaben von über 100 Milliarden Dollar. Das sind unter ein Prozent der Gesamtausgaben! Die Kosten eines Zahnmedizin-/Medizin- studiums sind sehr hoch, Schuldenstände in deutlich sechsstelliger Höhe am Ende der Ausbildung sind eher die Regel als die Ausnahme. Der Bericht der Britin Hannah T.-P. (S. 46) ist sehr tendenziös, aber als langjähriger Beobachter der amerikanischen und der englischen zahnärztlichen Versorgung (zahlreiche Verwandte leben in England) kann ich einen gravierenden Unterschied in der Versorgung erkennen. Während in GB schiefe Zähne und Zahnlücken im sichtbaren Bereich in allen Schichten anzu- finden sind, sind beide Attribute in den USA in der Mittel- und in der Oberschicht eher nicht akzeptiert und unüblich. Henner Bunke Doctor of Dental Medicine/Univ. of Florida/ USA Präsident der ZÄK Niedersachsen „I n den USA sind schiefe Zähne in der Oberschicht eher nicht akzeptiert“ S TATEMENT D R . H ENNER B UNKE Foto: BZÄK 42 Gesellschaft
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