Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 107, Nr. 19, 1.10.2017, (2198) gehört, ihr Lächeln trainiert, um es mög- lichst lange halten zu können. Sie besaß natürlich schöne Zähne. Nach ihrem Sieg sorgten sogenannte „Smile Sponsoren“ da- für, dass Adjeis Zähne für die kommenden, landes- und weltweiten Wettbewerbe der Miss USA und der Miss Universum noch per- fekter gerüstet waren – mit Bleaching, einer Laser-Zahnfleischkorrektur und Zahnspangen, die der jungen Frau Kopfweh bereiteten. „Ich bin zu einem Kunstprojekt geworden“, sagte Adjei der Journalistin. Im Nachhinein hätte sie gern die ganz individuelle Optik ihrer eigenen Zähne behalten. Ohne Veneers für die „Social Six“ geht es nicht Die Fetischisierung des „American Smile“ hat ihren Ursprung im Hollywoodkino der 1930er-Jahre – und ein Zahnarzt war daran nicht unbeteiligt. Charles Pincus ging gern ins Kino. Dort sah der junge kalifornische Zahnarzt Schauspieler wie James Dean, des- sen Zähne auf der großen Leinwand keinen besonders guten Eindruck machten – Dean war ein Farmersjunge mit einigen Lücken im Gebiss. Bald arbeitete Pincus mit den Filmstudios zusammen und sorgte für ein makelloses Lächeln von Stars wie Judy Garland, Montgomery Clift, Mae West oder Shirley Temple. Aus einer Mixtur aus pulverisiertem Plastik und Porzellan formte er aufsetzbare Schalen für die Zähne der Darsteller. So wurde Pincus zu einem der Väter der Veneers. Und Kinderstar Shirley Temple hat niemals ihre Milchzähne ver- loren – jedenfalls nicht im Kino. Sie trug immer das gleiche Set kleiner, strahlender Perlen im Mund. Heute gelten die sechs Frontzähne in den USA als „The Social Six“ – ein Set Veneers signalisiert den sozialen Status und markiert Erfolg. Otto schaut aber nicht nur nach Hollywood, um die Gegenwart Amerikas zu verstehen: Sie wirft immer wieder Schlaglichter auf die gesamte Geschichte der Zahnmedizin in den USA. Denn die heutige „Zahngesund- heitskrise“ – so ihre These – wurzelt in der strikten Trennung von Zahnheilkunde und Allgemeinmedizin. Mitte des 19. Jahr- hunderts setzte sich Chapin Harris, der heute als einer der Gründerväter der US- amerikanischen Zahnmedizin gilt, dafür ein, dass an der medizinischen Fakultät der Universität von Maryland in Baltimore auch ein zahnmedizinischer Studiengang etabliert wird. Doch die Allgemeinmediziner lehnten ab. Sie hielten die Zahnheilkunde für ein rein mechanisches Handwerk, das vom Rest des Körpers abgekoppelt ist. Darauf gründeten Harris und Mitstreiter 1840 das Baltimore College of Dental Sur- gery, um dort professionell Zahnärzte aus- zubilden – heute die weltälteste zahnärzt- liche Hochschule. Im ersten Jahrgang gab es fünf Studenten, die bei den Professoren zu Hause unterrichtet wurden. Die Abgrenzung zur Allgemeinmedizin blieb bis heute in der Ausbildung genauso bestehen wie in den Abrechnungs- und Versicherungssystemen. Programme des staatlichen Gesundheitswesens lassen Mundgesundheit in der Regel außen vor. Das beförderte die Entwicklung hin zu einer in weiten Teilen privatisierten Zahnmedizin – exklusiv für zahlungskräftige Patienten. Prophylaxe ist hier Propaganda Gleichzeitig haben Standesorganisationen wie die ADA (American Dental Association) ihre professionelle Autonomie durch die „Viele meiner Patienten sind eingewandert und erhalten nicht die Vorsorge, die sie benötigen. Es gibt einfach viel zu viel tun. Es ist erschütternd.“ Janice in Boston, Massachusetts, ange- stellte Zahnärztin in einer Klinik „Wenn Sie Probleme mit den Zähnen haben, gibt es keinen Versicherungsschutz. Ihre Zähne sind aber integraler Bestandteil ihrer Allgemeingesundheit – wir wissen das jetzt in der Medizin und in der Zahn- heilkunde. Deshalb ist es eine Schande, das wir diese Diskussion führen. Beth in Charlotte, North Carolina, Ärztin „Es ist sogar noch viel schlimmer als auf Haiti. Auf Haiti sehe ich bei den Patienten vielleicht ein paar Zähne, die entfernt werden müssen. Aber hier im ländlichen Tennessee müssen alle Zähne extrahiert werden und die Menschen benötigen Vollprothesen.“ Eileen in Nashville, Tennessee, Zahnärztin im öffentlichen Gesundheitsdienst Der Bostoner Newskanal 90.9 WBUR-FM rief im Juni 2017 Zahnärzte in den USA auf, die zahnärztliche Versorgung im Land zu kommentieren. „Es ist noch schlimmer als auf Haiti!“ W IE US-Z AHNÄRZTE DIE L AGE BEURTEILEN 8. April 2014: Die neunjährige Sanayiaha Lovelace wird in einem Zahn- mobil des Will County Community Health Center behandelt. Zwischen 2012 und 2013 wurden 1.641 Patienten von den mobilen Zahnärzten versorgt. Foto: picture alliance 44 Gesellschaft
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