Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 107, Nr. 19, 1.10.2017, (2199) Jahrzehnte hartnäckig verteidigt, zum Bei- spiel gegen die Zahnhygienikerinnen – auch das zeigt Otto. Zahnarzt Alfred Fones gründete 1913 die erste Schule für Zahn- hygiene; seine Arzthelferin und Cousine Irene Newman wurde zur ersten Dental- hygienikerin der Welt. Fones war davon überzeugt, dass Dentalhygienikerinnen in Arztpraxen und vor allem in Schulen wert- volle Prophylaxearbeit leisten könnten. Doch nach ersten Erfolgen im Präventions- bereich schlug nach dem Zweiten Weltkrieg die öffentliche Stimmung um, Ängste vor Kommunismus, Sozialismus und Staats- medizin griffen um sich. Oralhygiene sei „Propaganda“, sagten die Konservativen, dementsprechende Gesundheitsprogramme wurden wieder eingestampft. Das gesellschaftliche Klima bekam auch Max Schoen zu spüren. Der New Yorker Zahnarzt glaubte an Präventionsarbeit, besonders für gesellschaftlich Schwache, er führte auf Gewerkschaftsebene eine all- gemeine Versicherung für zahnärztliche Leistungen ein und kämpfte zudem gegen die Rassentrennung. All das brachte Schoen ein Verhör vor dem „Komitee für unameri- kanische Umtriebe“ (House Committee on Un-American Activities, HCUA) ein, das zu Beginn des Kalten Krieges permanent auf der Suche nach vermeintlichen Kommunis- ten war. Die Angst vor „Staatsmedizin“ und „Sozialismus“ prägt noch heute das US-Gesundheitssystem, wie der lautstarke Widerstand gegen Obamacare gezeigt hat. Auch die Standespolitik setzte immer wieder alles daran, sozial engagierte Programme gegen den Gesundheitsnotstand zu kritisie- ren oder zu vereiteln. Als Präsident Lyndon B. Johnson für eine allgemeine Gesundheits- Während meines Aufenthalts in New York von 2007–2009 durfte ich als Clinical Assistant Professor an der New York University Studenten und Post- graduierte im Bereich der Parodontologie und der Implantologie betreuen und konnte so – aus zahn- medizinischem Blickwin- kel – einen guten Einblick in das amerikanische Gesund- heitssystem bekommen. Es existierte eine große Kluft zwischen dem, was ich bei meinem damaligen Chef, Dr. Dennis Tarnow, in seiner Privatpraxis gesehen habe, und dem, was ich in meiner täglichen Arbeit in der universitären Poliklinik mitbekommen habe: In der Praxis wurden hochwertige Behandlungen mit dem Fokus der Ästhetik für das Zwei- bis Dreifache des in Deutschland üblichen Preises abge- rechnet. Ganz anders an der Universität: Hier standen die Patienten Schlange für einfachen Zahnersatz, denn viele sahen keinen anderen Ausweg, als von Studen- ten oder Postgraduierten für einen stark reduzierten Preis behandelt zu werden. Ein „Privatzahnarzt“ war vielen einfach zu teuer. Doch auch die universitäre Gebühr – ge- rade im Bereich der Implantologie – stellte für viele eine große Hürde dar. So habe ich oft erlebt, dass Patienten ver- sucht haben, ihre Implan- tatbehandlung über ver- schiedene Kreditkarten abzurechnen, weil das Kreditlimit der vorigen Karte überzogen war. Man mag diese Situation sicher damit begründen, dass es – wenigstens damals, vor Obamacare – keine verpflichtende Krankenversicherung gab. Auf der anderen Seite tickt der Amerikaner einfach anders. Auf die Frage, ob es es mit einer Krankenversicherung denn nicht besser wäre, antworteten mir viele: „Ich lasse mir doch nicht meine persönliche Freiheit durch eine ‘Zwangs- versicherung‘ nehmen.“ PD Dr. Stefan Fickl Abteilung für Parodontologie in der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie Universitätsklinikum Würzburg Pleicherwall 2, 97070 Würzburg „Da war eine große Kluft zwischen Privatpraxis und Poliklinik“ S TATEMENT PD D R . S TEFAN F ICKL Foto: privat
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