Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 107, Nr. 19, 1.10.2017, (2212) fast vollständig resorbiert. Etwa eine Stunde nach einer Einzeldosis von 300 mg liegen die Konzentrationen im Blut bei 3,6 mg/l und fallen auf einen mittleren Wert von 1,1 mg/l fünf Stunden später. Clindamycin wird überwiegend hepatisch metabolisiert und mit einer Halbwertszeit von etwa zwei bis drei Stunden primär mit den Fäzes und zu etwa einem Drittel mit dem Urin eliminiert. Mindestens fünf Tage lang ist im Stuhl die antibakterielle Aktivität nachweisbar, was mit einer Beseitigung der sensiblen Flora verbunden ist und häufig zur Diarrhö führt. Der Effekt ist mindestens 14 Tage nach einer Behandlung nachweisbar. Die mittleren Konzentrationen im Stuhl zeigten eine er- hebliche interindividuelle Variabilität und nehmen mit der Behandlungsdauer deutlich zu [Kager et al., 1981]. Verteilung im Gewebe, Knochengängigkeit Clindamycin gilt als gut gewebe- beziehungs- weise knochengängig. Bei 30 Patienten, die vor einer Hüftgelenksoperation mehrere Dosen von jeweils 300 mg Clindamycin intramuskulär erhalten hatten, lagen die Kon- zentrationen eine Stunde nach der letzten Injektion im Serum bei 7,33 ± 3,37 mg/l, im Knochen wurde weniger als die Hälfte (2,63 ± 1,76 mg/kg) gemessen [Nicholas et al., 1975]. Dieses Ergebnis ist typisch: In den meisten Arbeiten betrugen die Gewebe- konzentrationen etwa 40 bis 50 Prozent der Serumkonzentrationen. Dieses Verhältnis ist erwartungsgemäß stark abhängig vom zeit- lichen Abstand nach der Einnahme, an dem die Konzentrationen ermittelt wurden. In einer ausführlichen aktuellen Literatur- recherche konnten wir etwa ein Dutzend Arbeiten identifizieren, in denen Original- daten zur Frage der Knochengängigkeit von Clindamycin publiziert wurden. Die überwiegende Zahl der Untersuchungen stammt aus den 1970er-Jahren. Studien, in denen die Knochengängigkeit mit anderen Antibiotika bei einer ausreichenden Zahl von Patienten verglichen wird, gibt es nicht beziehungsweise sie sind wenig aussage- kräftig aufgrund methodischer Mängel. Oft nahmen nur wenige Patienten an den Studien teil. Von besonderem Interesse für die Zahnheilkunde ist eine vergleichende Studie über die Konzentrationen von Clin- damycin in Zähnen. Bei hoher inter- individueller Variabilität lagen die Konzen- trationen von Clindamycin niedriger als die von Amoxicillin. Allerdings war die verabreichte Dosis von Amoxicillin etwa dreifach höher als die von Clindamycin (Abb. 1). Therapeutische Anwendung Clindamycin gehört zu einer Gruppe von klassischen Antibiotika, mit denen einerseits eine langjährige therapeutische Erfahrung besteht, andererseits aber die verfügbaren Daten aus klinischen Studien sehr limitiert sind. In den vergangenen 20 Jahren sind die Anforderungen für neue Antibiotika durch die zuständigen Behörden sehr ausführlich und präzise formuliert worden. Klinische Daten, die dem heute geforderten Standard entsprechen, sind für Clindamycin nicht vorhanden. Die schlechte Datenlage bei den klinischen Studien erschwert eine rationale Beurteilung des therapeutischen Stellenwerts des Antibiotikums. Auch der weit verbreitete Einsatz des Medikaments in der Zahnheilkunde ist nicht durch umfang- reiche kontrollierte Studien belegt, obwohl laut Fachinformation SOBELIN® das Arznei- mittel bei akuten und chronischen Infektio- nen des Zahn- und Kieferbereichs durch Clindamycin-empfindliche Erreger indiziert ist [Pfizer, 2017]. Unerwünschte Wirkungen Eine Therapie mit Clindamycin ist relativ häufig mit unerwünschten Wirkungen ver- bunden. In den Statistiken der Arzneimittel- kommission Zahnärzte nimmt es regelmäßig eine „führende Rolle“ ein [Schindler et al., 2016]. Durch Beeinflussung der Darmflora treten Übelkeit und Diarrhöen häufig auf bis hin zur immer wieder auch von Zahnärzten gemeldeten pseudomembranösen Entero- kolitis als schwerwiegender und potenziell lebensbedrohlicher Komplikation. Gelegent- lich steigen unter Clindamycin die Bilirubin- und Leberenzymwerte im Blut an. Über- empfindlichkeitsreaktionen verlaufen meist Amoxicillin vs. Clindamycin Krone Wurzel Konzentration ! g/g 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 Amoxicillin Clindamycin Abb. 1: Konzentrationen von Amoxicillin und Clindamycin in den Kronen und Wurzeln der Zähne etwa 90 Minuten nach oraler Gabe von 2,0 g Amoxicillin oder 0,6 g Clindamycin (Einzeldosen zur Infektionsprophylaxe, n = 13 bzw. 12) [mod. nach Schüssl et al., 2014] 58 Zahnmedizin
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