Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm 107, Nr. 21, 1.11.2017, (2448) Dr. Schinnenburg ist einer von elf Medizinern im 19. Deutschen Bundestag. Vier gehören der Unions-, drei der SPD-, zwei der FDP- und jeweils einer der Grünen- und der AfD-Fraktion an. eine Partei, die auf individuelle Selbst- gestaltung des Lebens setzt und die Grünen machen das genaue Gegenteil, nämlich mithilfe des Staates dafür sorgen, dass die Welt gut wird. Es wird sehr harte Verhand- lungen geben, die auch scheitern können. Es gibt keine Garantie. Mit dem Einzug der AfD wird allge- mein der Verfall der Debattenkultur gefürchtet. Wie bewerten Sie diese Sorge vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen aus der Hamburger Bürgerschaft, in der seit 2015 sieben Abgeordnete der AfD sitzen? Ich habe in der Tat in den letzten 2,5 Jahren meine Erfahrungen mit der AfD gesammelt – und die sind katastrophal. Die AfD macht ab und zu mal Showdebatten, meistens zum Thema Ausländer, gleichzeitig wird die Ausschussarbeit, also die eigentliche Arbeit eines Parlaments, oft verweigert. Im Gesund- heitsausschuss der Hamburger Bürgerschaft ist die AfD in einem Drittel der Sitzungen überhaupt nicht präsent, geschweige denn, dass sie etwas sagt. Ich hoffe, dass wird im Bundestag besser. Zum Glück wird das Wort ja nach Fraktionsstärke vergeben, und da die AfD die drittstärkste und wir die viert- stärkste sind, reden wir – und das heißt auch ich – immer direkt nach den AfD-Kandidaten. Die können sich warm anziehen, ich kann ganz gut reden und werde zur Not alles auseinandernehmen, was die da erzählen. In welchem Ausschuss würden Sie gern arbeiten? Da bin ich offen. Das wird meine Fraktion mit 80 Personen entscheiden. Das kann ich also noch nicht sagen. In der Fraktion sind sie einer von 80, im Bundestag einer von 700 Abge- ordneten. Da kam man schnell unter- gehen. Sind Sie ein bisschen aufgeregt? Auf jeden Fall bin ich aufgeregt. Wenn ich am nächsten Dienstag in der konstituierenden Sitzung sitze, werde ich eine Gänsehaut bekommen, weil ich eine große Verantwor- tung spüre. Das deutsche Volk hat mich ja beauftragt, es vier Jahre zu vertreten. Auch wenn ich in der Bundespolitik noch nicht ? ? ? groß hervorgetreten bin, verstehe das als Anforderung an mich. Man muss gute Arbeit leisten, dann wird man irgendwann auch anerkannt und kann mehr Einfluss nehmen. Das ist einfach die Frage, was man persönlich bringt. In Hamburg haben Sie sich immer für den Abbau unnötiger Bürokratie stark gemacht, deren Auswüchse auch in der Zahnärzteschaft beklagt werden. Was können Sie als Politiker mit Praxis- hintergrund künftig dagegen tun? Es ist ja so, dass alle Gesetze auf Bundesebene im Deutschen Bundestag beschlossen werden – da kann man sicher mitreden. Ich sehe genau das als meine Aufgabe an. Aber am Ende brauche ich auch die Unterstützung der Bürger, denn Bürokratie ist immer eine Reaktion auf Misstrauen. Nach jeder Meldung im Stil von „die Ärzte oder Zahnärzte haben wieder Mist gemacht“ warte ich schon drauf, dass ein Jahr später eine neue Regelung kommt, um diejenigen mehr zu kontrollieren. Dass ich gegen Bürokratie bin, sagt nicht viel. Dass ich für eine Vertrauenskultur bin schon eher. Leider haben wir in Deutschland zunehmend eine Misstrauenskultur, nicht nur gegenüber Zahnärzten. Wenn ich in meinen Berufsleben vielleicht 30.000 Zahnfüllungen gemacht habe und zehn davon schlecht waren, kann die Folge doch nicht sein, dass jede Füllung künftig von einem Beamten kontrolliert werden muss. Wie kann man diese Vertrauenskultur in der Gesellschaft wieder stärken? ? ? Das ist schwer. Ich hatte in Hamburg eine Diskussion, nachdem ein Kind angefahren worden war. Sofort sollte dort eine Ampel hin, obwohl zuvor 30 Jahre nichts passiert war. Da muss man den Mut haben zu sagen: „Das ist ganz traurig, dass dein Kind schwer verletzt wurde, aber wir werden hier keine Ampel aufstellen – es sei denn, es gibt wis- senschaftliche Analysen, die bescheinigen, dass es ein gefährliche Stelle ist.“ Man braucht Mut, der öffentlichen Meinung auch mal zu widersprechen. Und den habe ich. Wo sind Ihrer Meinung nach die Baustellen im Gesundheitswesen, für deren Beseitigung es Mut bräuchte? In unserem Wahlprogramm steht, dass wir die Budgetierung aufheben wollen. Ich kann mir auch nicht erklären, warum ausgerechnet in einem Bereich, wo es um menschliche Gesundheit geht, budgetiert wird. Die Büro- kraten, vor allem bei den Kassen, werden sagen, dass wir uns das nicht leisten kön- nen. Fakt ist aber, dass die mehr als zehn Milliarden Euro für ihre eigene Verwaltung ausgeben. Wenn man diese Ausgaben hal- bieren könnte, wäre fünf Milliarden frei und man könnte zumindest bei Ärzten und Zahnärzten das Budget locker aufheben. Sie sind verheiratet und haben drei Kinder. Was sagen Sie dazu, dass überall, also auch bei den Zahn- ärzten, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert wird? Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn wir erreichen wollen, das fähige, erfolgreiche Menschen auch Kinder kriegen, müssen wir etwas tun. Die armen Schichten haben ja nach wie vor keinen Mangel an Kindern, aber die Hälfte der Akademiker-Frauen bekommt keine. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen. Für Zahnärzte liegt eine mögliche Lösung sicher in Praxen mit mehreren Behandlern, was aber auch nicht immer einfach ist. In meiner Tä- tigkeit als Mediator erlebe ich immer wieder, dass es in diesen Konstruktionen Streit gibt. Der Staat kann hier nur wenig machen, vor allem müssen die Leute selbst etwas tun – indem sie sich entscheiden „Ja, ich will berufs- tätig sein und trotzdem Kinder haben“. mg ? ? 22 Politik

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