Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 107, Nr. 21, 1.11.2017, (2451) erreichen. Als Ausgleich – allerdings nur bis zu einem gewissen Grad – wird der Arbeits- stuhl höher als die Unterschenkellänge ein- gestellt. Da der Sattelstuhl dies vom Prinzip her erleichtert, ist dies wahrscheinlich einer der Gründe für seine Beliebtheit. Problemstellung Welche Anforderungen an einen Arbeitsstuhl sind nun Voraussetzung, um das Arbeiten ohne physische Beschwerden in einer sitzen- den Position zu erleichtern und auf welche Weise kann der Sattelstuhl dazu beitragen? Um diese Frage zu beantworten, werden nach einer kurzen Einführung über das richtige Sitzen nachfolgend die Haltung und die Bewegungen eines Reiters analysiert, wie er zu Pferde im Sattel sitzt und wie dies in der Reitschule gelehrt wird. Im Vergleich dazu werden die Arbeitshaltung und die Bewe- gungsfreiheit eines Zahnarztes, der auf einem Sattelstuhl sitzt und seine feinmotorischen Fähigkeiten anwendet, untersucht. Richtig sitzen Eine falsche Arbeitshaltung ist die Haupt- ursache von Skelett-Muskel-Erkrankungen [Engels/Hokwerda, 2014; Rucker/Sunell, 2002; Skovsgaard, 2013; Valachi/Valachi, 2003; Yamalik, 2007]. Dies gilt für stehende und sitzende Arbeiten gleichermaßen. Bürostühle sind mit Sitzen und Rücken- lehnen versehen, die ein Zurücklehnen mit dem Ziel erleichtern sollen, eine körperliche Überbelastung zu vermeiden. In der Zahn- medizin ist es jedoch unmöglich, zurück- gelehnt zu arbeiten. Die Konsequenzen statischer Arbeit in sit- zender Position werden im ISO-Standard 11226 anhand von Richtlinien bezüglich der maximalen Hebung und Beugung des Kopfes, des Rumpfes und der Gliedmaßen beschrieben [ISO 11226, 2000]. Bereits 1981 haben Hokwerda und Plasschaert auf die besondere Notwendigkeit des auf- rechten Sitzens hingewiesen, um eine sym- metrische Arbeitshaltung beizubehalten. Diese Bedingung wurde aktuell von Rotgans detailliert herausgearbeitet [„Richtig sitzen“, zm 14/2017, S.74–78]. Abbildung 1 zeigt das Prinzip einer symme- trischen Haltung im Stehen in der Front- und in der Seitenansicht: Die senkrechte Mittel-, Lot- oder Balanceachse ist Referenz für alle Horizontalen – durch Pupillen, Schul- ter, Brustwarzen, Hüfte und Knie. Bei der Seitenansicht zeigt sich diese Mittelachse ebenfalls als eine Senkrechte. Sie verläuft von der Mitte des Schädels (sella turcica) zentral durch Schultergelenk, Hüftgelenk und die Mitte des Knöchels. Die auf die unterschiedlichen Teile des menschlichen Körpers einwirkende Schwerkraft endet idealerweise in der Mitte des Fußes. Übertragen auf das Sitzen bedeutet dies, dass die Sitzfläche des Stuhls horizontal aus- gerichtet sein sollte – und zwar mit einer Horizontallinie, die zur Stabilisierung und Sicherung der Balance genau unter den Sitz- knochen verläuft. Dann stehen die Füße fest auf dem Boden und tragen so zur Stabilität des gesamten Körpers bei. Ein Arbeitsstuhl muss eine zweiteilige Sitz- fläche haben [Engels/Hokwerda, 2014]: einen kurzen horizontalen Teil hinten, um auf den Sitzknochen sitzen zu können, und einen nach unten geneigten vorderen Teil, der den Oberschenkel unterstützt. Ist dies gegeben, bleibt die Bewegungsfreiheit der Ober- und der Unterschenkel praktisch voll- kommen erhalten. Außerdem muss ein Ar- beitsstuhl mit einer Beckenlehne versehen sein, die ausschließlich die Crista iliaca anterior superior (Darmbeinkamm) stützt. Solch eine Lehne unterscheidet sich von Stühlen mit einer Rückenlehne, die einen größeren Teil des Rückens mit abstützt und durch die die Rückenmuskeln und die Wirbelsäule unnötig irritiert werden. Die Beckenlehne hingegen ermöglicht es dem Körper, kontinuierlich die korrekte Arbeits- haltung beizubehalten. De Bruyne et al. haben diese Anforderungen im Prinzip be- stätigt [De Bruyne et al., 2016]. 1. Form und Funktion eines Reitsattels Die Beobachtung, dass Dressurreiter in einer typischerweise voll ausbalancierten, aufrechten Haltung auf dem Pferd sitzen, war wahrscheinlich Auslöser der Idee, einen Sattelstuhl in der Zahnarztpraxis zu ver- wenden, um aufrecht und ausbalanciert – wie ein Dressurreiter sitzend – zu behandeln. Deshalb greifen Form und Funktion des Abbildung 1: Prinzip einer symmetrischen Haltung im Stehen mit den entsprechenden Horizontalen und Lotlinien Quelle: P.A. Engels 25
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