Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 107, Nr. 21, 1.11.2017, (2458) einem Maximum von 25 Grad mittels einer reflektorischen Bewegung im oberen Be- reich der Halswirbelsäule, um die Mund- höhle einsehen zu können. Auf diese Weise werden die relativen Gewichtszunahmen des Rumpfes und des Kopfes und die reak- tiven Kräfte der involvierten Muskeln auf ein Minimum reduziert. Reaktion 2: Der gesamte obere Teil des Körpers (Rumpf und Kopf) wird von der Lendenwirbelsäule ausgehend nach vorne gebeugt. In diesem Fall flacht sich die Lendenwirbelsäule ab und nimmt zusammen mit Kyphose des Rumpfes eine C-Krümmung (Rundrücken) an (Abbildung 13). Begleitet wird die Bewegung von einer gleichzeitigen Halsbeugung, die hoch oben an der Brustwirbel- säule beginnt und sich in die untere Halswirbelsäule progressiv fortsetzt. In Kombination mit einer Hals- beugung von mehr als 25 Grad tragen alle Verlagerungen der Wir- bel zu größeren Verlagerungen des Oberkörpers (> zehn Grad) bei. Dies führt zu einer erhöhten Gewichts- zunahme des Kopfes und infolge- dessen zu großen Reaktionskräften der Rücken- und der Hals- muskulatur. Nur wenn die zur Reaktion 1 be- schriebene Bewegung im Becken ihren Ursprung hat, wird es möglich sein, die normale Position der Schul- tern und der Arme beizubehalten, durch die die Arme sich unabhängig von- einander bewegen können. Falls die Bewe- gung aus dem oberen Rumpfteil heraus ent- steht, tritt eine sofortige Protraktion des Schultergürtels ein, die verhindert, dass sich die Arme unabhängig voneinander bewegen können [Valachi/Valachi, 2003; Yamalik, 2007; Engels/Hokwerda, 2009; Engels, 2010; Engels, 2015]. Wie in ISO-Standard 11226 definiert, ist bei statischen Aktivitäten eine Krümmung des Oberkörpers von maximal 20 Grad zumut- bar; gemäß Hokwerda und de Ruijter von maximal nur zehn Grad [Hokwerda et al., 2016]. Demnach sollte der Zahnarzt so nahe wie möglich an seinem Arbeitsbereich sitzen. Auf einem Sattelstuhl lässt sich dies nicht beziehungsweise kaum mit einer Zehn-Grad-Vorwärtsbeugung realisieren. Schuld daran ist der Abstand zwischen Schambein und vorderem Rand des Sitzes (Vorderzwiesel), weswegen man sich mit mehr als 20 Grad über den Vorderzwiesel beugen muss – mit der Folge einer relativen Gewichtszunahme des Kopfes und des Rumpfes und der daraus resultierenden gesundheitsschädigenden gesteigerten Muskelspannung [Valachi/Valachi, 2003; Yamalik, 2007]. Damm und Genitalien er- fahren eine ebenso schädigende Druck- zunahme [Munarriz et al., 2005]. Die Folgen falschen Sitzens Eine falsche Sitzhaltung hat Auswirkungen, die sich nicht nur auf die Körperhaltung be- schränken. Die Wirbelsäule kann man sich wie eine Feder mit drei „Kurven“ vorstellen: eine Lendenlordose, eine Thoraxkyphose und eine Zervikallordose (Abbildung 14). Diese Feder ist in ihren kyphotischen Mög- lichkeiten eingeschränkt, da der Brustkorb an ihr befestigt ist. Charakteristisch für die Wirbelsäule ist die Zunahme ihrer Bewe- gungsmöglichkeiten vom Lenden- bis zum Halsbereich, da Dicke und Volumen der ein- zelnen Wirbel abnehmen. Abbildung 11: Lastdiagramm in Balance (links) und mit vorgebeugtem Kopf (rechts) Quelle: PA Engels Abbildung 12: Vorbeugung des Rumpfes und des Kopfes Abbildung 13: „Die Welt auf den Schultern tragen“ Valachi & Valachi, 2003, bearbeitet durch Engels 32 Zahnärztliche Ergonomie
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