Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 107, Nr. 22, 16.11.2017, (2666) und sich 1885 habilitiert. Er wurde 1894 ordentlicher Professor an der Universität Innsbruck [ÖBL, 1958a]. Zahnheilkunde nur mit Medizinstudium Heider war in der Mitte des 19. Jahrhunderts neben Carl Schmedicke der wohl wirk- mächtigste Vertreter der zeitgenössischen Zahnheilkunde. Sein erstes Ziel war die „Hebung des Standes und Förderung der Wissenschaft und Praxis“ [Groß/Schäfer, 2009]. Auch an die geplante Zeitschrift des CVdZ – die „Deutsche Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“ – knüpfte Heider hohe Erwartungen: „wir müssen uns ein großes, gemeinsames Organ schaffen, welches dem Einzelnen das Lesen der vielen Zeitschriften in fremden Sprachen erspart. Die Gründung einer solchen Zeitschrift [...] ist ein Gegen- stand, der [...] die volle Aufopferung und den ganzen Patriotismus der Berufsgenossen in Anspruch nehmen wird“ [Groß/Schäfer, 2009]. Um dieses Ziel zu erreichen, über- nahm Heider persönlich die Schriftleitung des Organs. Dabei legte er größten Wert auf die Differenzierung zwischen Originalartikeln und der bloßen Wiedergabe andernorts publizierter Aufsätze. Die Vierteljahrsschrift wurde bald zu einem angesehenen Organ; 1871 verfügte das Blatt bereits über 458 Abonnenten [Nordheim, 1957; Groß, 1994]. Zu Heiders berufspolitischen Zielen gehörte die Integration der Zahnheilkunde in das medizinische Vollstudium, die Bestellung von Zahnärzten als zahnärztliche Prüfer und Gutachter (anstelle der bis dahin bestellten akademischen Ärzte) sowie die Etablierung eines flächendeckenden Netzes zahnärztlicher Vereine [Maretzky/Venter, 1974]. Gerade die Forderung nach einer ärztlichen Vollausbildung als Voraussetzung für die zahnärztliche Tätigkeit trug Heiders Hand- schrift. Aus heutiger Sicht erstaunt es, dass es Heider gelang, den CVdZ auf diese weit- gehende Position festzulegen, zumal die Mitglieder des Vereins – im Unterschied zu Heider – mehrheitlich keine Reifeprüfung aufwiesen und kein Medizinstudium absol- viert hatten. Tatsächlich sollte sich Heiders Forderung späterhin in seinem Heimatland Österreich, nicht aber in Deutschland durch- setzen: In Österreich war die Ausübung der Zahnheilkunde bis in die 1990er-Jahre an ein vollständiges Medizinstudium mit nach- folgender Spezialisierung zum Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ge- bunden [Gesundheit .gv.at , 2016]. Dem- gegenüber setzte sich im CVdZ nach der Gründung des Deutschen Reiches (1871) die Ansicht durch, dass die Zahnärzte zwar eine sukzessive akademische Angleichung an den ärztlichen Standard, aber keine grund- ständige ärztliche Ausbildung und somit auch keine vollständige Aufnahme in den Ärztestand anstreben sollten. Da auch die organisierte deutsche Ärzteschaft nicht daran interessiert war, die Zahnärzte in ihren Berufsstand aufzunehmen, blieben in Deutschland wie auch andernorts zwei eigenständige Berufsgruppen bestehen [Groß, 1994]. Schließlich sind auch Heiders Impulse für die flächendeckende Gründung von regio- nalen Vereinen zu würdigen [In Jg. 3, Heft 1 der Vierteljahrsschrift 1863, Leitartikel über „Die Gründung von Lokalvereinen“]. Hierzu gehörte die Gründung des „Vereins öster- reichischer Zahnärzte“ in Wien (1861); auch hier übernahm Heider den Vorsitz [ÖBL, 1958b]. Moriz Heider war nicht nur die zentrale Figur der zahnärztlichen Vereinspolitik, son- dern führte zudem die Galvanokaustik in die Zahnheilkunde ein – ein Verfahren, das später auch in die Medizin Einzug hielt. Aus- gangspunkt war Heiders Suche nach einem Ersatz des Glüheisens, das zur Zerstörung des Zahnnervs eingesetzt wurde. Nach Unterredungen mit dem Physikprofessor Carl August von Steinheil entwickelte er vor der Jahrhundertmitte ein Verfahren, bei dem ein Platindraht durch elektrischen Strom zum Glühen gebracht wurde. Rasch trat er mit einer entsprechenden Publikation („Der Platinschließungsdraht als Glühapparat für chirurgische Zwecke“) in der „Zeitschrift der k.k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien“ an die Öffentlichkeit. Später wurde die durch galvanischen Strom erzeugte Glühhitze tat- sächlich zu einer chirurgischen Operations- methode weiterentwickelt [ADB, 1880; Par- reidt, 1909; ÖBL, 1958b]. Zudem propagierte Heider bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Füllung von Zähnen mit Goldblatt. Er war einer der ersten Zahnärzte im deutschen Sprachraum, der Gold(hämmer)füllungen anwendete und populär machte. Hinzu kamen weitere viel- beachtete Beiträge zur Zahnerhaltung und zur Differenzialdiagnose des Zahnschmerzes [ADB, 1880; ÖBL, 1958b]. Ebenso bedeutend waren Heiders Studien zur Zahnpathologie und -histologie [ÖBL, 1858b]. 1869 erschien posthum Heiders „Atlas zur Pathologie der Zähne“; dieser konnte dank des Wiener Pathologen Carl Wedl fertiggestellt werden. Der Atlas wurde bald nach seiner Veröffentlichung zu einem internationalen Standardwerk und damit zu Heiders wissenschaftlichem Vermächtnis [Heider/Wedl, 1869; Groß/Schäfer, 2009]. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Medizinische Fakultät RWTH Aachen University dgross@ukaachen.de Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 104 Gesellschaft
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=