Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 107, Nr. 22, 16.11.2017, (2590) vulnerable Patientengruppe, nicht schultert, wird wohl auch wenig Verständnis für teure Endo oder Spitzen-Prothetik bekommen. Status praesens an der Uni Für die Analyse der bestehenden Probleme und Impulse zur Verbesserung braucht es ein kompetentes Gremium. Die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin bat des- halb für den 12. Mai 2017 alle interessierten Hochschuldozentinnen und -dozenten zum Hochschultag „Seniorenzahnmedizin in der Lehre“ nach Berlin. In Deutschland besteht im Gegensatz zur Schweiz keine Verpflichtung das Fach Seniorenzahnmedizin zu lehren und im Staatsexamen zu prüfen. Gegenüber dem schweizerischen Leuchtturm-Projekt der Uni- versität Zürich, das zurzeit in Einzelaspekten übertragbar wäre, konnte Deutschland zwar viel Idealismus am DGAZ-Tag der Lehre präsentieren, aber leider auch viel Frust: „Die zahnmedizinischen Abteilungen unterstützen uns nicht.“ „Wenn unsere Veranstaltungen freiwillig sind, kommt keiner.“ „Wenn ich mal eine Vorlesungsstunde bekomme, dann vor Weihnachten, wo eh keiner da ist.“ „Kollegenspruch: Ist ja süß, wenn Du Alterszahnmedizin machst, aber wichtig ist das nicht!“ „Die Studenten haben große Berührungs- ängste gegenüber Pflegebedürftigen.“ „Altersmedizinische Grundlagen fehlen den Studierenden.“ „Die Heime lassen uns nicht rein.“ „Das Studium ist ohnehin schon mit Themen überladen.“ „Pflegebedürftige spielen später keine Rolle in der Praxis!“ Der Hochschultag war sich einig, dass die Pflegebedürftigen in Deutschland schnell den Stellenwert in der Zahnmedizin erhalten müssen, und zwar in einem Land mit einer der dramatischsten Demografien in der Welt. Was soll die Uni bieten? Zahnmedizin für Pflegebedürftige als Teil der Seniorenzahnmedizin ist längst vom „nice to have“ zum „must have“ geworden. Dies kommt auch aktuell in der Diskussion um die neue Approbationsordnung zum Ausdruck. Die Teilnehmer des Hochschultags definieren den Mindeststandard, den eine Universität heute in der Seniorenzahnmedizin bieten soll, anhand von vier Punkten: Der organisatorische Aufwand für eine theoretische und praktische Ausbildung im Fach Seniorenzahnmedizin ist hoch und er- fordert mindestens eine zahnärztliche Voll- zeitkraft. Wie ein solches Curriculum organi- siert ist – abteilungsübergreifend, von der Prothetik oder der Zahnerhaltung –, wird heute bereits an verschiedenen Universitäten unterschiedlich gehandhabt und erscheint sekundär. Jede Universität sollte einen Zahn- mediziner benennen, der Fachkompetenz auf dem Gebiet der Seniorenzahnmedizin hat, egal aus welchem Fachgebiet dieser ursprüng- lich kommt. Diesem sollte die Verantwortung übertragen werden, die Ausbildung theoretisch multidisziplinär auszugestalten sowie die auf- suchende Behandlung in Pflegeeinrichtungen und bei ambulant Pflegebedürftigen für die Studierende zu organisieren. Theoretische Inhalte sollen in einer ein- semestrigen Ringvorlesung im 8. oder im 9. Fachsemester vermittelt werden, die zahn- medizinische mit medizinischen und pflege- rischen Themen verbindet – Gerontologie, Geriatrie, Gerontopsychiatrie, Pflege. Praktische Inhalte: Übergreifende Aspekte ohne Patientenkontakt werden in einem ein- tägigen Block unterrichtet – z. B. Umgang mit mobilem Instrumentarium, Alterseinschrän- kungen z. B. im Altersanzug im Rahmen eines Gero-Parcours selbst erleben. Ein direkter Patientenkontakt ist nicht immer einfach zu organisieren, aber z. B. die Universitäten Berlin und Leipzig gehen einmalig im Studium bzw. in jedem klinischen Semester in Pflege- einrichtungen mit den Studierenden. Vorbild- haft erscheint z. B. das Konzept der Universität Köln. In Absprache mit einer niedergelasse- nen Zahnärztin, die eine Pflegeeinrichtung betreut, besuchen die Studierenden die Bewohner und reinigen regelmäßig deren Zähne mit Zahn- und Interdentalbürsten. Dabei besteht zwar keine zahnärztliche Behandlungssituation im eigentlichen Sinn, jedoch lassen sich auf diese Weise Vorbehalte und Berührungsängste leichter abbauen. Aus einer vergleichenden Studie zweier Unterrichts- angebote ist bekannt, dass die Studierenden den praktischen, zahnärztlichen Kontakt zu den Pflegebedürftigen sehr schätzen. Das Curriculum sollte externe zahnmedizi- nische Praktiker in die Lehre einbinden, die in Pflegeeinrichtungen kontinuierlich tätig sind. Die Teilnahme an den Besuchen zusammen mit Konsilzahnärzten sollte in den klinischen Fachsemestern – z. B. für das 8. oder für das 9. Fachsemester – angeboten werden und verpflichtend sein. Freiwillige Veranstaltungen werden nicht in ausreichender Weise besucht. Um die Akzeptanz weiter zu fördern, ist zu- dem das Fach Seniorenzahnmedizin in den Prüfungsthemen einzubinden. Die dargestellte Struktur mag die Ausbildung der Studierenden ermöglichen, wissenschaft- liches Arbeiten wird in einem derart beschei- denen Rahmen natürlich nicht möglich sein. Andere Länder – Kanada, USA – sind hier eindeutig weiter. Deutschland hat leider nur beim Alterungsprozess der Gesellschaft die Nase vorn. Fazit Wer im Zahnmedizin-Studium die Lebens- welt von Pflegebedürftigen und damit verbunden die Zahnmedizin für Pflege- bedürftige nicht als relevant erlebt, wird sich in seinem zahnärztlichen Berufsleben schwer tun, den richtigen Zugang zu finden. Es ist eine wichtige Aufgabe der Hochschule, diesen Zugang nachhaltig zu vermitteln. Prof. Dr. Ina Nitschke und Prof. Dr. Christoph Benz für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin e.V. ina.nitschke@dgaz.org christoph.benz@dgaz.org www.dgaz.org Fotos: Axentis.de 28 Politik
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