Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 107, Nr. 22, 16.11.2017, (2658) Herr Prof. Alt, was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an dem Fund? Prof. Dr. Kurt W. Alt: Nach der gängigen Lehrmeinung ist Afrika die Wiege der Menschheit. Dort entwickelten sich nicht nur unsere frühen Vorfahren vor etwa 2,7 Millionen Jahren, sondern auch der Homo sapiens vor etwa 200.000 Jahren. Von Afrika aus erfolgte die Eroberung der übrigen Welt in vielen Auswanderungswellen seit etwa 2 Millionen Jahren. Wenn die Entdecker der knapp 10 Millionen Jahre alten Funde aus Eppelsheim mit ihrer Vermutung recht hät- ten, dass die aufgefundenen Zähne Funden von Vormenschen in Afrika ähnlich sind, diese jedoch etwa nur halb so alt sind wie die neu entdeckten Funde in Europa, wäre dies in der Tat eine wirkliche Sensation. In vielen Mitteilungen über den Fund liest man deshalb auch, dass gegebenenfalls nun die Menschheitsgeschichte umgeschrieben werden muss. Warum stehen die Wissenschaftler jetzt vor einem Rätsel? Als mich persönlich die Nachricht vom Fund aus Eppelsheim erreichte, hat sich bei mir augenblicklich Skepsis breit gemacht. Wir können in der Paläontologie und in der Paläo- anthropologie auf eine in den vergangenen 30 Jahren stark angewachsene Wissens- basis zurückgreifen, die sich auf zahlreiche ? ? Streit um fossilen Zahnfund „Eine Provinzposse, keine Weltsensation“ Der Fund von zwei 9,7 Millionen Jahre alten Zähnen in Eppelsheim in Rhein- hessen ging vor wenigen Wochen als „Weltsensation“ durch die Presse. Man habe es mit einer bislang unbekannten Menschenaffenart zu tun, wahrscheinlich müsse die Menschheitsgeschichte umgeschrieben werden, verkündeten die Ausgräber. Der Dentalanthropologe Prof. Dr. Kurt W. Alt nimmt Stellung – und spricht von einem Debakel. Bei der Bewertung des Funds übertrafen sich die verantwortlichen Archäologen schnell mit Superlativen – bis es schließlich gar hieß, möglicherweise müsse die Menschheitsgeschichte neu geschrieben werden. Fachleute kamen zu einem anderen Ergebnis: Sie ordnen die Funde nicht einem Menschenaffen, sondern einem reh- und hirschartigen Wiederkäuer zu. Foto: Naturhistorisches Museum Mainz Methoden stützen kann. Aufgrund des Alters der Funde scheiden molekulargenetische Methoden im vorliegenden Fall aus. Aller- dings stehen den Fachleuten bewährte morphologische Methoden zur Verfügung. Und das Rätsel wäre niemals zum Rätsel ge- worden, hätte man nach der Entdeckung des Fundes Fachleute hinzugezogen. Statt- dessen hat es den Anschein, wie aus den vielen Pressemitteilungen der letzten Tage zu erfahren ist, dass sich die Entdecker selbst zu Spezialisten heranbildeten. Das ist leider nicht professionell und deshalb werden diese „fake news“ die Verantwortlichen jetzt wohl noch lange in Atem halten. Das Debakel und als etwas anderes kann man es nicht Im September 2016 wurden im Zuge eines Forschungsprojekts des Natur- historischen Museums in Mainz bei Grabungen in Eppelsheim zwei fossile Zähne gefunden. Mitte Oktober 2017 präsentierte das Museum den Fund der Öffentlichkeit als „Weltsensation“. Denn die Forscher waren sich nach der langen Untersuchungszeit sicher, dass es sich um zwei 9,7 Millionen Jahre alte Zähne von Menschenaffen handelt, die Zahnfunden von Vormenschen aus Afrika ähneln. Doch die Fachwelt widersprach schnell: Statt einen Bezug zu den berühmten Funden Lucy oder Ardi zu bestätigen, legte sie eine Zuordnung zu ordinären Affenarten nahe, die zu dieser Zeit in Europa verbreitet waren. Nur ein Affenzahn Hintergrund 96 Gesellschaft
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