Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 107, Nr. 22, 16.11.2017, (2660) bezeichnen, hätte sich vermeiden lassen, wenn man sich an das Sprichwort: „Schuster bleib bei deinen Leisten“ gehalten hätte. Noch unverständlicher ist die Sachlage, wenn man bedenkt, dass im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt – quasi um die Ecke – die Experten für solche Funde residieren. Nun muss man mit der selbst verursachten Situation leben und umgehen, und das tun die Betroffenen mehr schlecht als recht. Wie geht man jetzt weiter vor? Die Fachleute werden jetzt bemüht werden oder selbst auf die Presse reagieren. Einige haben schon von sich aus reagiert. So zitiert der Südwestrundfunk am 25. Oktober den Paläontologgen David Begun aus Toronto wie folgt: „Die Funde haben mit Menschen (Hominini) nichts zu tun, sie haben nicht ein- mal etwas mit Menschenaffen (Hominidae) zu tun, denn sie stammen aus einer Zeit, ehe diese sich entwickelt haben.“ Statt eines Staunens der Fachwelt gibt es also ein Kopf- schütteln der Fachwelt. Selbst ohne die Zähne imOriginal gesehen zu haben, glaubt Begun den Backenzahn Anapithecus – einem Affen, von dem es vor 10 Millionen Jahren zahl- reiche Arten in Europa gab, zuordnen zu können, wie er im Interview versichert. Und Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeenvironment in Tübingen, die ebenfalls zu Wort kam, ist sich sicher: „Ein Spezialist hätte das sofort gesehen.“ Etwa dass der vermeintliche Hominideneckzahn „ein kleinerer Teil eines Hirschzahns“ ist. In den nächsten Tagen und Wochen werden sich mit Sicherheit weitere Spezialisten melden, denen – wie zu hoffen – das Original zur Untersuchung überlassen wird. Die Fundstelle selbst ist eine der be- deutsamsten dieser Zeitstellung und war in der Vergangenheit schon für zahlreiche Funde und Entdeckungen gut. Vom Fund bis zur Bekanntgabe verging gut ein Jahr. Wann ist mit weiteren Erkenntnissen zu rechnen? Nachdem bereits so kurze Zeit nach der Pressemitteilung festzustehen scheint, dass ? ? sich die selbsternannten Spezialisten geirrt haben, andererseits die Zeitstellung passt und die beiden Fundstücke bestimmten Spezies zugeordnet werden konnten, ist derzeit nicht damit zu rechnen, dass sich noch einmal größere Verschiebungen in der Spezieszuordnung ergeben. Was die Experten ebenfalls erstaunt, ist die Tatsache, dass sich die Entdecker und Bearbeiter ge- scheut haben, ihre Funde in einer inter- national angesehenen Fachzeitschrift zu publizieren, und sich damit der Kollegen- schaft gestellt hätten. Dann wäre es nämlich mit Sicherheit nicht zu der Weltsensation gekommen. Und der Frankfurter Paläontologe Ottmar Kullmer, ein ausgesprochener Experte für Zähne, bemerkt zum Ende des Interviews mit dem Südwestrundfunk: „Aufgrund von zwei Zähnen – wobei einer sogar nur ein Fragment ist – die Menschheitsgeschichte umzuschreiben, halte ich für etwas weit hergeholt. Die Theorie der Menschwerdung in Afrika ziehen wir deswegen nicht in Zweifel.“ Es bleibt zu hoffen, dass diese Provinzposse einmalig bleibt und dass der Spott auf diejenigen begrenzt bleibt, die den Schaden verursacht haben. Im Naturhistorischen MuseumMainz gibt man sich gelassen angesichts der geballten Kritik vieler Fachleute. Dass sich zahlreiche Berichte mit den Eppelsheimer Funden beschäftigen und „imNachgang der ersten Vorstellung auch überaus kritisch“ damit umgehen, gehöre „zumwissenschaftlichen Betrieb dazu – und ist auch in keiner Weise ungewöhnlich“, informiert die städtische Pressestelle auf Anfrage. Und: „Die Kritik, das Autorenteam hätte Fachspezialisten vor der Publikation der Arbeit einbinden sollen, erscheint uns unberechtigt.“ Die vorliegende Arbeit sei eindeutig als erster Fundbericht über Zahnfunde aus Eppels- heim bekanntgegeben worden. Es handele sich erklärtermaßen nicht um eine end- gültige Einordnung und Bestimmung, heißt es in der Stellungnahme. Trotzdem will man sich offensichtlich festlegen, was die Bedeutung des Zahnfunds betrifft. Diese sei für die Wissenschaft „unstrittig“. Dann folgt leichtes Zurückrudern: Mit der Publikation sei es den Autoren zunächst nur um eine möglichst detaillierte Be- schreibung der gesamten Fundumstände sowie einen ersten Bericht über die tertiär- zeitlichen Zahnfunde gegangen. Die kri- tisierte Arbeit biete zunächst lediglich die Datenbasis, aufgrund derer „eine weitere Bearbeitung und wissenschaftliche Ein- ordnung der komplexen Befunde über- haupt erst beginnen kann“. Auch enthalte die Publikation „keineswegs eine endgültige Einordnung der Zahn- funde, sie ist aber die notwendige Basis für alle weiteren Bearbeitungen“. Mehr noch: „Ohne diese Basis ist eine Deutung der Funde gar nicht möglich.“ Generell sei der Standpunkt des Projektteams: „Die Kritik ist ernst zu nehmen und muss detailliert geprüft werden.“ Hierzu seien jetzt – wie angekündigt – weitere Untersuchungen in Vorbereitung, an denen dann auch Fachspezialisten beteiligt werden. „Erst danach wird man mehr über die tatsäch- liche Einordnung der Funde wissen“, heißt es. Und: „Bis dahin möchte sich das Team mit Äußerungen zurückhalten und weiter inhaltlich arbeiten.“ mg „Die Bedeutung der Funde ist unstrittig“ REAKTION DER STADT MAINZ Prof. Dr. Kurt W. Alt war lange Jahre am Institut für Anthropologie in Mainz tätig und ist seit 2014 Leiter des Departments für Natur- und Kulturgeschichte des Menschen an der Danube Private University in Krems an der Donau, Österreich, sowie Sprecher des Arbeitskreises für Ethno- und Paläozahn- medizin in der DGZMK. Foto: privat 98 Gesellschaft

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