Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23
zm 107, Nr. 23-24, 1.12.2017, (2732) Das Prozessieren verändert die Nahrungs- mittel erheblich in ihren metabolischen Konsequenzen: Im Fall der prozessierten Glukose bewirkt diese nach der Einnahme einen unnatürlich starken Blutzuckeranstieg (Hyperglykämie), der wiederum eine überschießende Insulin- sekretion auslöst. Die überschießende Insu- linsekretion bewirkt nach wenigen Stunden einen reaktiven Unterzucker (reaktive Hypo- glykämie), der sich als unangenehme Stress- reaktion bemerkbar machen und wiederum Hunger fördern kann [Knudsen et al., 2014]. Die regelmäßige Hyperinsulinämie bedingt damit langfristig eine Mehraufnahme von Kalorien, eine Hemmung der Fettverbrennung sowie erhöhten Stress, der wiederum über Cortisol den Blutzuckerspiegel erhöht [Bosma-den Boer et al., 2012; Chakrabarti et al., 2013]. Bei der Aufnahme von Glukose in unprozessierten Lebensmitteln (wie Obst oder Gemüse) bewirken die Ballaststoffe einen langsameren Blutzuckeranstieg [Augustin et al., 2015; Foster-Powell et al., 2002]. Im Fall der Fruktose wird kein Insulin erfor- dert, da Fruktose in der Leber verstoff- wechselt wird. Bei regelmäßigem Konsum prozessierter Fruktose geht dies mit einer erhöhten Bildung von Cholesterin (LDL) einher, die nicht bei (unprozessiertem) Fruchtkonsum beobachtet werden kann [Jenkins et al., 2001; Stanhope et al., 2011; Te Morenga et al., 2014]. In Bezug auf die parodontale Entzündung konnte eine Meta-Analyse von Hujoel [2009] zeigen, dass prozessierte Saccharose (Fabrikzucker) gingivale Entzündungen her- vorrufen kann und dies zum Teil auch ohne eine Veränderung der Plaquemenge. Eine Kohortenstudie konnte sogar im Gegenteil zeigen, dass – obwohl die Plaquemenge zu- nahm – die parodontale Entzündung (ge- messen in Form des Bluten auf Sondieren) abnahm [Baumgartner et al., 2009]. Hinter- grund der Studie war ein „Steinzeit- experiment“, bei dem elf Teilnehmer sich vier Wochen lang unter Steinzeitbedingun- gen aufhielten. Dementsprechend konnten sie keine Mundhygieneprodukte verwenden und eben auch keine (industriell) prozessierte Nahrung zu sich nehmen. Die Autoren der Studie postulierten, dass das Protokoll der experimentellen Gingivitis nicht gültig ist unter der Restriktion von prozessierten Kohlenhydraten. Eine Querschnittstudie von Lula et al. [2014] korrelierte die NHANES- Daten von 2.437 Patienten bezüglich ihres Zuckerkonsums und dem Vorhandensein von erhöhten Sondierungstiefen. Die Ergebnisse zeigten, dass der Zuckerkonsum signifikant mit einem erhöhten Vorkommen an erhöhten Sondierungstiefen korreliert war – und das unabhängig von klassischen Risikofaktoren. Falls die Prozessierung der Kohlenhydrate nun einen entzündungsfördernden Einfluss auszuüben scheint, müssten dann nicht Ballaststoffe (als „Abfallprodukt“ der Prozes- sierung) einen entzündungshemmenden Einfluss haben? In der Tat scheinen dies Studien zu belegen, die einen vermehrten Ballaststoffkonsum mit einer geringeren parodontalen Entzündung in Verbindung bringen konnten [Merchant et al., 2006; Nielsen et al., 2016]. Fette: Fette sind aus dem dreiwertigen Alkohol Glycerin und verschiedenen Fett- säuren zusammengesetzt. Je nach Vorkom- men von chemischen Doppelbindungen spricht man von gesättigten, ungesättigten oder mehrfach-ungesättigten Fettsäuren. Sie dienen dem Organismus als wichtiger Energielieferant und als Ausgangssubstanz für Zellbestandteile, Hormone und Trans- mitter. Bezüglich der systemischen Inflam- mation scheinen viele Fette eher entzün- dungsfördernd zu wirken, wie gesättigte Fettsäuren, Transfettsäuren und Omega-6- Fettsäuren (Tabelle 1). Diese kommen vor allem in tierischen Produkten der Massen- Foto: Fotolia_Printemps Foto: Fotolia_Smileus Omega-3-Fettsäuren etwa in fettem Seefisch scheinen einen entzündungsauflösenden Effekt zu haben – auch auf das Parodont. Auch der Konsum von Ballaststoffen ist mit einer geringeren parodontalen Entzündung korreliert. 34 Fortbildung Parodontologie
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