Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23

zm 107, Nr. 23-24, 1.12.2017, (2739) symptome. Als zentrale Ursachen für ein solches proinflammatorisch wirkendes Über- wachsen wurde zum einen die vermehrte Verfügbarkeit proteinreicher bakterieller Substrate, zum anderen eine verminderte kompetitive Hemmung der entzündungs- förderlichen Problemkeime durch andere Bakterienarten im Biofilm identifiziert. Konditionen, die mit einer systemischen Zunahme der Entzündungslast sowie der Entzündungsbereitschaft des Körpers ver- bunden sind – wie etwa Adipositas und das hiermit häufig vergesellschaftete Meta- bolische Syndrom, regelmäßiger Tabak- konsum, chronischer psychosozialer Stress, aber auch das Vorliegen einer Schwanger- schaft – , führen in der Regel zum Ansteigen bakteriell metabolisierbarer Proteine in Sulkusfluid und Speichel [Wu et al., 2015]. Das Konzept der system- relevanten Schlüsselkeime Die Ursachen für die verminderte kompe- titive Hemmung parodontitisassoziierter Bakterien durch andere Keime im Biofilm können ebenfalls vielfältig sein. So erhöht bei- spielsweise eine einseitig fett- und kohlen- hydratlastige Fehlernährung nicht nur die systemische Entzündungslast im Körper, sondern hat auch negative Auswirkungen auf die bakterielle Diversität der oralen und der intestinalen Mikrobiota [Fang S, Evans RM, 2013]. Dabei kann bereits das Fehlen oder Verschwinden einer einzelnen Bakterienart gravierende Folgen haben. Mazmanian et al. [2008] konnten beispielsweise in einem Modellversuch an gnothobiotischen Mäusen durch die gezielte Besiedlung des Darmes der Versuchstiere mit dem gramnegativen, proinflammatorischen Bakterium Helicobac- ter hepaticus vorhersagbar die Entstehung von Darmulzera provozieren. Wurde der Darm der Versuchstiere jedoch zeitgleich zusätzlich mit Bacteroides fragilis, einem weiteren gramnegativen Darmkeim, beimpft, blieb die Entstehung von Ulzera aus. Als Ur- sache für den durch B. fragilis vermittelten Schutzeffekt wurde ein spezifisches Kohlen- hydrat, das sogenannte Polysaccharid A (PSA) in der Zellwand von B. fragilis identifiziert, das nach der Aufnahme durch immun- kompetente dendritische Zellen diese dazu veranlasste, nachfolgend selektiv die Aus- reifung entzündungshemmender T-Zell- populationen sowie die Produktion des entzündungsauflösenden Botenstoffs Inter- leukin-10 zu fördern. Hierdurch wurde – im Sinne einer Gegenregulation – die Stärke der durch die proinflammatorisch wirkenden Antigene von H. hepaticus ausgelösten Ent- zündungsreaktion im Darm so weit reduziert, dass sich keine Darmulzera mehr bildeten. Neben B. fragilis konnten zwischenzeitlich weitere, mutmaßliche Schlüsselkeime iden- tifiziert werden, denen eine zentrale Rolle bei der Erhaltung einer entzündungsfreien, friedlichen Koexistenz zwischen oralen oder intestinalen Keimen und den Zellen des mu- kosalen Immunsystems zugeschrieben wird. Das Konzept der Prä- und Probiotika Ob Schlüsselkeime in einem gegebenen Wirt gute Lebensbedingungen finden, wird nach verfügbaremWissen in nicht geringem Maß durch die Ernährung beeinflusst. So ist beispielsweise schon seit Längerem bekannt, dass der Konsum einer faser- und ballaststoffreichen Diät gesundheits- förderliche Auswirkungen hat. Erst neuere Untersuchungen enthüllten jedoch, dass beispielsweise faserreiche Ballaststoffe das Wachstum saccharolytischer Clostridienarten im Darm begünstigen, die die Ballaststoffe zu kurzkettigen Fettsäuren (short chain fatty acids; SCFAs) metabolisieren. Hohe SCFA- Konzentrationen im Blut wiederum stimulie- ren die vermehrte Ausreifung entzündungs- dämpfender, regulatorischer CD4+ Foxp3+ T-Zellen und damit die Hemmung chroni- scher Entzündungen [Fung TC et al., 2014.] (Abbildung 1). Nahrungsmittel, die – wie die faserreichen Ballaststoffe nach bakterieller Metabolisie- rung – den Gesundheitsstatus positiv beein- flussen können, werden auch als Präbiotika bezeichnet. Das Ideal eines ursachen- gerichteten Ansatzes zur Prävention und Kontrolle der Parodontitis wie auch anderer, mit bakteriellen Dysbiosen assoziierter chro- nisch-entzündlicher Erkrankungen wäre da- her aus aktueller Sicht ein Ernährungs- und Lebensstil, der das Wachstum von Schlüssel- keimen optimal fördert und schädliche pro- inflammatorische Stimuli (wie etwa Über- gewicht, chronischen Stress und Tabak- konsum) konsequent meidet. Gravierendere Umstellungen im Lebens- und Ernährungs- stil sind jedoch aufgrund der Komplexizität humaner psychosozialer Strukturen häufig nur sehr schwer dauerhaft realisierbar. Daher kann es pragmatisch sinnvoll sein, fehlende Schlüsselkeime beispielsweise in Form eines bakterienhaltigen Joghurts direkt mit der Nahrung zuzuführen. Die Nützlich- keit eines solchen Vorgehens ist als medizi- Abbildung 1: Stimulation der Ausreifung entzündungshemmender regulatorischer T-Zellen durch hohe Konzentrationen an kurzkettigen Fettsäuren, die von saccharolytischen Clostridien im Darm aus faserreichen Ballaststoffen metabolisiert werden Quelle: Schlagenhauf 41

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