Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23

zm 107, Nr. 23-24, 1.12.2017, (2740) nisches Erfahrungswissen in vielen Völkern und Kulturen bekannt und hat beispielsweise in Japan eine Jahrhunderte alte Tradition. Mikroorganismen mit gesundheitsfördern- der Wirkung, die eine Passage durch die Säure des Magens unbeschadet überstehen, werden unter dem Begriff Probiotika zusam- mengefasst. Zu ihnen zählen verschiedene Laktobazillenspezies, Bifidobakterien, aber auch eukaryonte Mikroorganismen (wie etwa probiotisch wirksame Stämme der Bier- oder Backhefe Saccharomyces cervisiae). Die positive Wirkung der Probiotika kann dabei zum einen von einer direkten kompe- titiven Hemmung pathogener Keime durch antibakteriell wirksame bakterielle Meta- bolite wie Peroxid, Nitrit oder spezifische Bakteriozine ausgehen, aber auch, wie zu- vor für die Präbiotika beschrieben, auf einer gesundheitsförderlichen Modulation des Aktivierungsstatus der Zellen des mukosalen Immunsystems beruhen. Frei verkäufliche Probiotika enthalten ausschließlich apatho- gene Keime und sind formal keine Medika- mente, sondern Nahrungsergänzungsmittel, für deren Zulassung in Europa nicht die European Medicines Agency (EMA), sondern die European Food Safety Authority (EFSA) zuständig ist. Diese verbot im Jahr 2012 für alle auf dem Markt befindlichen Probiotika mit einem konkreten Gesundheitsversprechen wie „stärkt die Abwehrkräfte“ oder „... hilft bei Erkältungen“ zu werben (Abbildung 2). Ursache hierfür war das Urteil einer EFSA- Expertengruppe, die nach eingehenden Recherchen zum Schluss kam, dass für keines der kommerziell erhältlichen Probiotika eine ausreichende wissenschaftliche Evidenz vor- liegt, um die Existenz einer signifikanten ge- sundheitsförderlichen Wirkung bei gesunden Individuen zweifelsfrei nachweisen zu können. Die fehlende Evidenz für eine gesundheits- förderliche Wirkung probiotischer Lebens- mittel aus dem Supermarkt bei systemisch Gesunden, sollte jedoch nicht mit einem fraglichen Nutzen probiotischer Präparate bei erkrankten Personen gleichgesetzt werden. So ist beispielsweise die Gabe probiotischer Zubereitungen bei Dysbiosen des Darms eine seit vielen Jahren auch in der wissenschaft- lichen Medizin etablierte Therapieoption, deren Wirksamkeit sehr gut untersucht ist [Parker et al., 2017]. Probiotika in der Zahnheilkunde Im Bereich der wissenschaftlichen Zahnheil- kunde war die Anwendung von Probiotika hingegen lange Zeit wenig geläufig bis un- bekannt. Es findet sich mittlerweile jedoch auch in der zahnärztlichen Literatur eine be- ständig steigende Zahl von Publikationen, die eine klinisch relevante Wirkung probio- tischer Zubereitungen auf die Ausprägung chronischer Entzündungsprozesse im Mund zweifelsfrei belegen. Insbesondere zu den Auswirkungen des Konsums spezifischer probiotischer Lactobacillus-reuteri-Stämme im Bereich parodontaler Erkrankungen ist zwischenzeitlich eine ganze Reihe in erst- rangigen medizinischen und zahnmedizi- nischen Fachjournalen publizierter Unter- suchungen verfügbar. So konnten beispiels- weise Twetman et al. [2009] in einer Kohorte von Individuen mit stark ausgeprägter Gingivitis allein durch den 14-tägigen, regelmäßigen Konsum L.-reuteri-haltiger Kaugummis einen ausgeprägten Rückgang der gingivalen Sondierungsblutung beob- achten, ohne dass dabei zeitgleich ein Ver- such unternommen worden wäre, die defi- zitäre Mundhygiene der Studienteilnehmer zu verbessern. Eine von meiner Abteilung in Kollaboration mit der Frauenklinik des Universitätsklinikums Würzburg durchge- führte Interventionsstudie an Schwangeren mit manifester Schwangerschaftsgingivitis [Schlagenhauf U et al., 2016] bestätigte die Ergebnisse von Twetman et al.: Nach sechswöchigem Konsum L.-reuteri- haltiger Lutschtabletten zeigte sich in der Testgruppe eine ganz ausgeprägte Reduktion der gingivalen Entzündung im Vergleich zur Ausgangssituation, während in der Placebo- gruppe nur geringe, nicht signifikante Ver- änderungen zu verzeichnen waren (Abbil- dung 3). Obwohl auch in dieser Studie den Abbildung 2: Kommerzielles Probiotikum „Actimel®“ der Fa. Danone mit dem seit 2012 von der European Food Safety Authority (EFSA) aufgrund mangelnder Evidenz unter- sagten Gesundheitsversprechen „stärkt die Abwehrkräfte“ 0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % 10 % 30 % 50 % 70 % 90 % GI 0 GI 1 GI 2 GI 3 GI Anfang Verum GI Anfang Placebo GI Ende Verum* GI Ende Placebo Abbildung 3: Veränderung der Verteilung der bei Schwangeren erfassten Gingival-Index-Werte vor und nach sechswöchigem Konsum von L.-reuteri-haltigen Lutschbonbons oder Placebos Quelle: [Schlagenhauf et al., 2016]. Foto: Schlagenhauf 42 Fortbildung Parodontologie

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