Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23
zm 107, Nr. 23-24, 1.12.2017, (2744) Der Hintergrund dieses Zusammenhangs [Jepsen et al., 2011; Hajishengallis, 2015] lässt sich teilweise bereits durch die Ätio- pathogenese der Parodontitis erklären. Pa- rodontalpathogene Bakterien, die in einem gut strukturierten Biofilm auf der Wurzel- oberfläche organisiert sind, beeinflussen die individuelle Immunantwort. Diese Immun- antwort wiederum kann ein individuell unterschiedliches Ausmaß annehmen und damit umgekehrt auf die Konstitution des bakteriellen Biofilms mit einwirken. So kön- nen besonders pathogene Bakterien wie Porphyromonas gingivalis überleben und sogar in ihrem Wachstum gefördert werden [Marsh and Devine, 2011; Hajishengallis, 2014]. Eine sogenannte unangemessene Immun- antwort führt im Verlauf der Erkrankung zu einem unwiderruflichen Verlust der parodon- talen Stützgewebe [Jepsen and Dommisch, 2014; Meyle and Chapple, 2015]. Im Rahmen der entzündlichen Reaktion wird der interzelluläre Verbund der paro- dontalen Zellen gelöst und Bakterien sowie deren Stoffwechselprodukte können leicht in tiefere Gewebeschichten und ultimativ in den Blutstrom gelangen. Tatsächlich kann eine Bakteriämie – ausgelöst zum Beispiel durch die häusliche Mundhygiene, eine Zahnextraktion, eine professionelle Zahnrei- nigung sowie Scaling und Wurzelglättung – bereits nach wenigen Minuten bei Patienten mit Parodontitis nachgewiesen werden [Lockhart et al., 2009; Lockhart et al., 2008; Castillo et al., 2011; Zhang et al., 2013]. Das Ausmaß einer Bakteriämie ist vom Schwere- grad der parodontalen Destruktion abhängig [Forner et al., 2006; Kinane et al., 2005]. Parodontalpathogene Bakterien im Blutstrom können fern der Mundhöhle eine Reihe von Wirkungen entfalten. Zu den wichtigsten Wirkungsweisen gehört sicherlich die direkte Stimulation von Immunzellen, die ihrerseits pro-inflammatorische Mediatoren in Form von zum Beispiel verschiedenen Interleukinen synthetisieren und damit im gesamten Körper immun-entzündliche Abläufe modifizieren können. Hinzu kommt, dass parodontal-pa- thogene Bakterien menschliches Gewebe fern der Mundhöhle direkt beeinflussen können [Jepsen et al., 2015; Hajishengallis, 2015]. Das gesamte Ausmaß der parodontalen Entzündung kann als inflammatorische Fläche erfasst werden, die die eigentliche systemische „Entzündnungslast“ der paro- dontalen Destruktion illustriert (Abbildung 1) [Nesse et al., 2008]. Vor diesem Hinter- grund wird deutlich, dass eine komplexe Entzündungserkrankung wie Parodontitis andere Erkrankungen mit einer ätiopatholo- gisch entzündlichen Ursache – wie Diabetes mellitus, Gefäßerkrankungen und Rheuma- toide Arthritis – mit beeinflussen kann. Allgemeine Gesundheit und Parodontitis Henrik Dommisch, Moritz Kebschull, Søren Jepsen In den vergangenen Jahren ist der Zusammenhang zwischen Parodontitis und Allgemeinerkrankungen immer mehr in dem Mittelpunkt der Forschung gerückt: Auch eine auf die Mundhöhle beschränkte komplexe entzündliche Erkrankung wie die Parodontitis kann auf unterschiedliche Weise die allgemeine Gesundheit beziehungsweise den Verlauf systemischer Erkrankungen mit beeinflussen. Wie werden die systemischen Erkrankungen Atherosklerose, Diabetes mellitus und Rheumatoide Arthritis von lokalen Entzündungserkrankungen wie der Parodontitis beeinflusst? 46 Fortbildung Parodontologie
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