Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23

zm 107, Nr. 23-24, 1.12.2017, (2780) Zum Ausklang des Jahres habe ich für Sie eine Geschichte, die zu Herzen geht. Ein alter Bajuware überlegt sich seit Monaten, ob er all seine Ersparnisse zusammenkratzt, um sich den Traum von einer Wohnung in der Stadt mit Blick auf die Berge zu erfüllen. Der vitale Herr ist 70 Jahre jung und einer von Ihnen. Das zahnärztliche Handwerk hat den Mann ordentlich ernährt und er hat für seinen Lebensabend fleißig vorgesorgt. Er bezieht aus zwei Versorgungswerken mo- natliche Renten von 5.000 Euro. Sie sind 900.000 Euro wert, wenn sie noch 20 Jahre überwiesen und mit jeweils 3 Prozent dis- kontiert werden. Auf mehreren Girokonten liegen 200.000 Euro. In zwei Depots stecken Anleihen und Aktien im Wert von 800.000 Euro. Außerdem wohnt der Zahnarzt ganz bescheiden in einem Eigenheim, das etwa 400.000 Euro wert ist. Am Preis der Immobilie mer- ken Sie bestimmt, liebe Lese- rinnen, dass das Objekt nicht in, sondern hinter München liegt. So ist es, werte Leser, das Haus steht in Niederbayern, wo der Zahnarzt zu den Ho- noratioren des Ortes gehört. Trotzdem will der Rentner der niederbayerischen Idylle den Rücken kehren und ins ober- bayerische München aufsteigen. Gegen das Vorhaben wäre nicht viel einzuwenden, wenn das neue Domizil – eine 150 Quadrat- meter große Penthaus-Wohnung – keine 1.400.000 Euro kosten würde. Können Sie den Mann verstehen? Wären auch Sie bereit, Ihre Lebensleistung an Bargeld plus Depot und Haus für eine Immobilie in der Großstadt zu opfern, um bei Föhn, also zweimal im Jahr, die Zugspitze sehen zu dür- fen? Oder halten Sie den Wunsch für etwas exaltiert? Bitte erwarten Sie jetzt bloß nicht, dass ich dem alten Herrn den Zahn ziehen werde. Hier geht es um die Gestaltung des Lebensabends, und das ist ein weites Feld. Der Mann kann mit seinem Vermögen auf dem Land versauern oder mit demselben Betrag in der Stadt aufblühen. Hier wie dort wird der Zahnarzt a. D. monatliche Renten von 5.000 Euro einstreichen. Im ersten Fall kann sich der Anleger an einer „freien“ Million ergötzen, im zweiten Fall könnte sich der Mediziner über die „feste Burg“ für 1.400.000 Euro freuen. Ich schildere Ihnen den Fall, weil ich mit Ihnen gerne einmal über die Frage sprechen möchte, was Geld für Sie bedeutet. Be- stimmt werden Sie mir beipflichten, dass das viele Geld leblose Materie ist. Lebendig wird die Summe erst durch die Art und Weise, wie Sie mit ihr umgehen, was Sie aus ihr machen. Das kann das Streben nach Macht und Un- abhängigkeit sein. Sie leben in einer Hütte in der Provinz und berauschen sich an dem Gefühl, die Puppen tanzen lassen zu kön- nen, wenn Sie es wollten. Genauso kann es aber sein, dass Sie den letzten Hosenknopf springen lassen, weil Ihnen die Gefühle, den Puls der Stadt zu spüren, mehr wert sind als das dicke Depot und die neidischen Blicke des Bankdirektors. Ich glaube nicht, dass das eine „richtig“ oder das andere „falsch“ ist. Vielmehr kommt es darauf an, dass Sie sich pudelwohl fühlen, so nach dem Motto: Jedem Tierchen sein Plaisirchen! Wenn Sie also das Gefühl haben, der Lebensabend in einer Münchener Man- sarde mit Zugspitzblick sei schöner als in einer Doppelhaushälfte in Hinterhuglhapfing, dann sollten Sie sich den Wunsch erfüllen. Erstens lebt man nur einmal, und zweitens halte ich es für nicht ausgeschlossen, mit lediglich 5.000 Euro pro Monat in der Stadt einigermaßen über die Runden zu kommen. Und was passiert, wenn der Doktor ein Pflege- fall wird? Dann ist es halt so, ich vertraue ein- fach darauf, dass der Verkauf der Wohnung die Kosten der Pflege decken wird. Ich will die heutige Geschichte nicht be- enden, ohne den Zauderern und Zweiflern unter Ihnen einen Mittelweg aufzuzeigen. Was halten Sie von der Idee, das Haus in der Provinz zu verkaufen, die 1.400.000 Euro anzulegen und mit dem Kapital die Miete des Penthauses in der Stadt zu bezahlen? Wenn Sie dem Gedanken nicht völlig ab- lehnend gegenüberstehen, möchte ich Ihnen folgende Rechnung präsentieren, natürlich unter Ausschluss jeglicher Haftung: Sie legen die 1.400.000 Euro in fünf Index-Fonds mit 5.000 Aktien an. Sie mieten eine Wohnung, die monatlich 3.000 Euro kostet. Die Miete kann jedes Jahr um 2 Prozent steigen. Sie leben noch 240 Monate und möchten als Dreiviertel-Millionär begraben werden, wol- len also am Ende des Lebens mit 750.000 Euro ins Grab sinken. Dann müssen Sie die anfänglichen 1.400.000 Euro zu „lumpigen“ 2,25 Prozent pro Jahr anlegen. Das werden Sie doch schaffen, oder nicht! Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument, diese Empfehlung erfordere Ner- ven wie Drahtseile. Die Verzinsung erreichen Sie mit jedem Pantoffel-Depot, dass zu gleichen Anteilen aus Anleihen und Aktien besteht. Genauso bitte ich Sie, von despek- tierlichen Leserbriefen absehen zu wollen, die Erben seien arme Hunde, wenn sie keine Million(en) bekommen. Es geht um Sie, liebe Senioren aus der Provinz, die von einem flotten Lebensabend nebst Kunst und Kultur in der Stadt träumen, und das sollte Ihnen schon ein paar Scheine wert sein. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass die Wohnung, die Ihnen gefällt, auch zu mieten sein wird. Sonst müssen Sie halt doch kaufen. Darf ich zum Jahresende noch einen Wunsch äußern? Bitte nehmen Sie keinen Kredit mehr auf, das könnte die Lebensfreude im Alter doch gewaltig trüben! Volker Looman über Lebensleistung und Großstadtimmobilien Sollten Rentner kaufen oder doch lieber mieten? Der Autor ist freiberuf- licher Finanzanalytiker in Stuttgart. Jede Woche veröffentlicht er in der FAZ einen Aufsatz über Geldanlagen. Außerdem unterstützt er Zahnärzte auf Honorarbasis bei der Gestaltung des Privatvermögens. www.looman.de Kolumnen entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber. 82 Praxis

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