Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 108, Nr. 01-02, 16.1.2018, (10) Genfer Gelöbnis – Wichtiger und dringender denn je, geradezu unverzichtbar! Zum Beitrag „Genfer Gelöbnis in neuer Fassung: Ich schwöre, ... zum Wohle des Patienten“, zm 22/2017, S. 22. Die Diskussion, ob wir als Zahn- Ärzte das Genfer Gelöbnis ab- legen sollen oder müssen, ist wirklich müßig. Es ist ein selbst- verständlicher Akt unseres ärzt- lichen Berufsethos und unserer inneren Integrität. Das Gelöbnis ist gänzlich unvermeidbar und dringend notwendig. Wäre diese Diskussion bei irgendeiner anderen ärztlichen Fachspezifikation über- haupt denkbar? Die Gründe, warum diese Diskus- sion notwendig ist, möchte ich kurz erläutern. Als Zahnarzt stand und steht es für mich nie infrage, dass ich dem Verpflichtungs- mandat des hippokratischen Eides unterliege. In einer zunehmend verunsicherten Gesellschaft hat der eherne Grundsatz zu gelten, für klare ethische Positionen engagiert einzutreten und klar formulierte Humanitätswerte vorzuleben. Diesem Anspruch versuche ich täglich gerecht zu werden. Es ist allerdings in der heutigen Zeit nicht mehr ganz einfach, immer und überall den ethischen Grundsätzen gerecht zu werden. Die Rolle des Zahnarztes avanciert immer stärker zum „Spagat“ zwischen betriebs- wirtschaftlichen Erfordernissen (selbstverständlich auch zum Er- halt der Praxen und von Arbeits- plätzen) sowie Fragen der persön- lichen Lebensgestaltung einerseits und der ärztlichen, ethischen und moralischen Verpflichtung unseren Patienten gegenüber andererseits. Diese Diskrepanz zwischen den diametral konträren Interessen und Verpflichtungen wird in der Zukunft noch größer und kom- plizierter werden. Die gesellschaft- lichen Gegebenheiten, die diese Diskrepanz verursachen sind dem sozio-ökonomischen Wertewandel in der Medizin und Zahnmedizin geschuldet. Der gesellschaftliche Wertewandel verursacht nämlich erhebliche Strukturänderungen im tiefliegenden Sediment unse- res aller Selbstverständnisses. Ich möchte nur einige Entwicklungen nennen, ohne im Einzelnen auf die resultierenden Konsequenzen einzugehen: „Die hochgradige Individualisierung (Aufwertung des Eigeninteresses / Abwertung von Gemeinschaftsbezügen); die dosierte Bindungshaltung in allen Lebensbereichen; die Feminisie- rung der Gesellschaft (Umorientie- rung vom Primat des Leistungs- gedankens zum Primat der Lebens- qualität); der Verlust des Grund- vertrauens in die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Institutionen; die zunehmende Ri- sikowahrnehmung in allen Lebens- bereichen; das wachsendes Sicher- heitsstreben der Deutschen (stärker als in allen anderen vergleichbaren Nationen); eine das „Jetzt“ priori- sierende Lebensauffassung, (Ab- wertung der Zukunft); das verän- derte Lebenstempo der Deutschen, der Tempodruck steigt; der demo- grafische Wandel (Umbau der Al- terspyramide); die wachsende Sen- sibilität gegenüber Verantwortung und moralischer Integrität; die neue Emotionalität der Deutschen (die permanente Suche nach Erlebnis- erfüllung); die neue Dominanz der Ökonomie in den Denkweisen Wahl-O-Mat – Kein Sprechverbot für Andersdenkende Zum Beitrag „Bundestagswahl 2017: Der Zahnarzt-Wahl-O-Mat“, zm 17/2017, S. 34–46, und zum Leserbrief von Joachim Krauß, zm 22/2017, S. 12. (Nutzenkategorien dominieren vor Verständigungskategorien); die verstärkte Suche nach Optionen und Alternativen von Angeboten und Lebenschancen (Schlagwort von der Optionsgesellschaft); der gewachsene Einfluss der Medien; die Erosion des gewachsenen Familienbildes.“ (Zitat Prof. Dr. Eugen Buß) Diese enormen gesellschaftlichen Veränderungen und Wandlungen unserer Wertvorstellungen haben natürlich auch massive Auswir- kungen auf unser Berufsbild als Zahnarzt. Den mehrheitlich widrigen Effekten auf unseren Berufsstand gilt es, vehement entgegenzutreten. Das geht nur, indem wir den Wandel analysie- ren, transparent machen und die daraus gewonnen Erkenntnisse dazu nutzen, die sich bereits ab- zeichnenden Herausforderungen auf unseren Berufsstand engagiert anzunehmen und entsprechende Antworten kompetent zu formu- lieren. Das ist auch der Grund dafür, dass eine Diskussion über das Genfer Gelöbnis in der Zahn- ärzteschaft, in unseren Vereinen, Verbänden, Vereinigungen, Gruppen heute wichtiger denn je ist, geradezu dringend und unverzichtbar. Trotzdem oder gerade deshalb ein ganz klares und deutliches JA zur Genfer Deklaration für Zahnärzte! Dr. Derk Siebers MSc. im Namen des Vorstands der NEUEN GRUPPE Auf den Inhalt des Leserbriefs des Kollegen Krauß eingehen möchte ich nicht. Er übt sein Recht auf freie Meinungsäuße- rung aus und es spricht nichts dagegen, wenn diese in den zm veröffentlicht wird – selbst für den Fall, dass er die Ansichten einer extrem kleinen Minderheit vertreten sollte. Wogegen ich mich allerdings ausspreche: Dass er offensichtlich die Meinung vertritt, dass alle von seiner politischen Richtung Abweichenden geächtet und womöglich mit einem Sprech- und Schreibverbot belegt wer- den sollten. Dass eine Partei wie die AfD in die Nähe der Nazis gerückt wird, ist bedenklich. Hält er antifaschistischen Terror womöglich für gerechtfertigt, bei dem AfD-Mitglieder beinahe totgeschlagen, AfD-Kandidaten persönlich angegriffen, deren Fahrzeuge abgebrannt, die Woh- nungen beschädigt werden? Ist er für die Verhinderung von ein- fachen Versammlungen, indem auf die Vermieter so lange Druck aus- geübt wird, bis sie bestehende Mietverträge kündigen? Wahr- scheinlich ist ihm das Zitat von Ignazio Silone (Schriftsteller und Sozialist) unbekannt: „Der neue Faschismus wird nicht sagen, ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“ Dr. Thomas Veigel, Rheinau Foto: Fotolia_buri327 10 Leserforum
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