Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 108, Nr. 01-02, 16.1.2018, (40) schaft sachliche Auseinandersetzungen zu bestimmten Behandlungsformen geführt werden. Die Grenzen sind erst dann über- schritten, wenn der Boden der Sachlichkeit verlassen und der Bereich ehrverletzender Äußerungen erreicht wird.“ Grundsätzliche Vorgehensweisen und Entscheidungsoptionen: Die in diesem Fall am Zahn 24 gelegte Wurzelfüllung ent- spricht weder der Behandlungsrichtlinie des G-BA, wonach Wurzelfüllmaterialien unter anderem dauerhaft, erprobt, rand- ständig und röntgenpositiv sein und die Wurzelkanalfüllungen das Kanallumen vollständig ausfüllen sollen, noch den wissenschaftlichen Qualitätsrichtlinien in der Endodontie. Den Berufspflichten ent- sprechend ist die Patientin über die erfor- derlichen Maßnahmen sachgerecht unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts aufzuklären. B. muss ferner wegen der wiederholten und andauernden Verstöße von T. gegen wiederum dessen besondere Berufs- pflichten tätig werden, dies aber unter Be- rücksichtigung der Gebote der Kollegialität. Dazu gehört auch ein Einwirken auf T., sein patienten- und gemeinschaftsschädigendes Verhalten abzustellen. Dies kann sich in einem Rahmen vom kollegialen Gespräch bis hin zu einer Meldung an die zuständige Standesorganisation bewegen. Ethische Analyse gemäß der Prinzipien- ethik nach Beauchamp und Childress: B. hat aus Respekt vor der Patienten- autonomie die Patientin vollständig und sachgerecht über die notwendige und geplante Revision der Wurzelfüllung vor der Überkronung des Zahnes 24 aufzuklären. In diesem Zusammenhang wird zwangsläufig das Fehlverhalten von T. zur Sprache kom- men, das B. den Regeln der Kollegialität entsprechend sachgerecht und nicht herabsetzend kommentieren darf. T. wiederum hat gegen dieses Prinzip verstoßen, indem er der Patientin eine zahnärztliche Behandlung im Einklang mit den wissenschaftlichen Standards ver- sprochen, diese aber nicht durchgeführt hat. Dem Nichtschadensprinzip und auch dem hier eng korrelierenden Wohltunsgebot folgend muss eine Revision der infrage stehenden Wurzelfüllung gemäß den geltenden Leit- und Richtlinien erfolgen, um den Behandlungserfolg auch der Über- kronung zu sichern. Die Revision ist in diesem Fall einer pastösen Einlage mit den „normalen“ Risiken einer jeden endodon- tischen Behandlung behaftet und birgt kein besonderes Schadenspotenzial. Eine weitere Verpflichtung aus dem Nicht- schadensgebot erwächst B. aus dem ihm bekanntgewordenen, wiederholten fach- lichen und ethischen Fehlverhalten von T. Dieser ist sich dessen offensichtlich ohnehin bewusst und scheint einem kollegialen Rat unzugänglich zu sein, da er im Gegenteil versucht, den Kollegen B. von seiner Vor- gehensweise zu überzeugen. Insofern scheint das kollegiale Gespräch als Gebot der Kollegialität und erste Maßnahme zur Konfliktbewältigung nicht fruchtbar und wenig zielführend zu sein. Außerdem fehlt B. jegliche Handhabe, eine durch T. angekündigte Verhaltensänderung zu verifizieren. B. muss seine Vorgehensweise in Bezug auf T. zwischen den Geboten der Kollegialität und den Belangen der Patienten abwägen. In diesem Fall eines bewussten, wiederholten und andauernden Verstoßes gegen ethische und fachliche Standards eines uneinsichtigen Kollegen bleibt ihm nur der Weg einer Mitteilung an die zuständige Standesorganisation. Besondere Bedeutung kommt in diesem Fall aufgrund der Verletzung des Nicht- schadens- und des Wohltunsgebots dem Gerechtigkeitsgebot zu. T. hat in mehr- facher Weise das Nichtschadensprinzip missachtet, indem er Behandlungen – sowohl bei der Patientin S. als auch bei anderen Patienten – wissentlich und wiederholt entgegen den aktuellen wissen- schaftlichen Erkenntnissen durchgeführt hat. Er hat unter anderem Infektionen des Wurzelkanalsystems in Kauf genommen, unnötige Revisionen an Wurzelfüllungen durchgeführt, den Kostenträgern ein den Richtlinien entsprechendes Behandlungs- ergebnis vorgetäuscht und dazu gegebe- nenfalls unnötigerweise ionisierende Strahlung angewandt. T. hat vermutlich auch Leistungen abgerechnet, obwohl er diese wissentlich nicht ordnungsgemäß erbracht hat und schadet durch sein Verhalten der Versichertengemeinschaft, den Kostenträgern und nicht zuletzt dem Berufsstand. B., der hiervon Kenntnis erhalten hat, ist nun auch unter diesem Gesichtspunkt gefordert, gegen das Verhalten von T. vorzugehen. Definitive Abstimmung über die favorisierte Vorgehensweise: In diesem Fall finden sich übereinstimmende fachliche, rechtliche und ethische Dimensionen, die zu gleichen Bewertungen und Handlungs- empfehlungen führen. Insofern sind die in der Falldarstellung aufgeworfenen Fragen einheitlich wie folgt zu beantworten: 1. Die Wurzelfüllung muss einer Revision unterzogen werden. 2. Die Patientin ist vollständig, sachgerecht und unter Beachtung ihres Selbstbestim- mungsrechts aufzuklären. 3. B. muss das Fehlverhalten von T. der zu- ständigen Standesorganisation mitteilen – ein Vorgehen, das im Übrigen im Hinblick auf die Kollegialität ausdrücklich von den (zahn-)ärztlichen Standesorganisationen legitimiert ist. Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt? Schildern Sie das ethische Problem – die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf. Kontakt: Prof. Dr. Ralf Vollmuth vollmuth@ak-ethik.de Schildern Sie Ihr Dilemma! A UFRUF Alle bisher erschienenen Fälle lesen Sie hier. Ethische Falldiskussionen M EHR AUF ZM - ONLINE 40 Zahnmedizin
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