Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 108, Nr. 01-02, 16.1.2018, (48) Plasma nach acht Stunden wieder erreicht [7]. Dabei stellen die Autoren heraus, dass die ermittelten erhöhten Plasmalevel weit von toxikologisch bedenklichen Konzentrationen entfernt sind. Systemische Fluoridierungs- maßnahmen, wie die Gabe von Fluorid- tabletten, werden auch während der Schwangerschaft aus zahnmedizinischer Sicht als ineffektiv betrachtet und daher nicht durchgeführt [8]. Die zahnmedizinischen Konzepte zur Betreuung schwangerer Pa- tienten sind daher unverändert gültig. Methodische Schwächen der Mexiko-Studie Die Fluoridkonzentration im Urin spiegelt die Fluoridaufnahme aus verschiedenen Quellen wider. Über die konkreten Quellen, aus denen die mexikanischen Mütter Fluorid aufgenommen haben, ist nichts bekannt. Insbesondere ist in keiner Weise eine Verbindung zu zahnmedizinisch ini- tiierten Fluoridgaben gegeben. Vielmehr ist anzunehmen, dass das ausgeschiedene Fluorid größtenteils aus dem Trinkwasser stammt. Die Publikation von Bashash et al. führt dazu aus, dass der Fluoridgehalt in Mexiko-Stadt zwischen 0,15 ppm und 1,38 ppm betrage [1]. Dies ist mit den Gegeben- heiten in Deutschland nicht vergleichbar. In Deutschland enthalten über 90 Prozent der Trinkwässer nicht mehr als 0,3 ppm Fluorid [5]. Angaben, ob in die Untersuchung ende- mische Fluorose-Gebiete mit einbezogen waren, fehlen. Ein weiterer Faktor, der die Vergleichbarkeit beeinträchtigt, ist die Tat- sache, dass Fluoridkonzentrationen im Urin von der Höhenlage des Ortes abhängen, in dem die untersuchte Person lebt [6]. In Mexiko-Stadt mit einer Lage 2.250 Meter über NN ermittelte Befunde können für Deutschland nicht maßgeblich sein. Noch wesentlich bedeutender dürfte jedoch die Tatsache sein, dass die Fluoridbestimmung in Urinproben der Schwangeren erfolgte, die zu jeweils nur einem Zeitpunkt des Abgabe- tages abgegeben wurden („Spoturin“). Die Elementbestimmung im Spoturin gilt als un- zuverlässig [12], zum Erhalt valider Daten wird zumindest die Untersuchung im ge- sammelten 24-Stunden-Urin gefordert [11]. Die Autoren der vorliegenden Untersuchung räumen diesen Mangel ihrer Studie ein, schätzen die Auswirkungen jedoch als gering ein. Es ist aber Fakt, dass der Grad der Abweichung zwischen Spoturin und 24-h-Urin in der vorgelegten Studie und damit die Auswirkung auf das Ergebnis nicht bekannt sind. Insgesamt erscheint die mittlere Fluorid- konzentration, die bei den schwangeren mexikanischen Frauen im Urin gemessen wurde, auch den Autoren der Studie im Vergleich zu anderen Publikationen relativ hoch. Es ist anzunehmen, dass dies die erwähnten Besonderheiten des dortigen Fluoridgehalts im Trinkwasser reflektiert. Die in der Veröffentlichung abgebildeten Plots von Fluoridkonzentration im Urin und kognitiven Werten zeigen eine sehr große Streubreite sowohl der IQ- als auch der Fluo- rid-Daten. Die in derartigen Berechnungen übliche Angabe des R²-Werts, der über den Anteil der Zielvariablen (zum Beispiel IQ-Wert) Auskunft gibt, der durch einzelne Parameter (wie Fluorid im Urin) erklärt wird, fehlt. Folgerungen nur aufgrund von p-Werten können daher irreführend sein. Die dargestellten Plots lassen vermuten, dass die mütterlichen Fluoridwerte nur wenige Prozent der Unterschiede der kog- nitiven Daten erklären können. In diesem Zusammenhang ist auch eine neuere Studie von Broadbent et al. von Bedeutung, in der an die 1.000 Probanden ab der Geburt über 38 Jahre lang in Bezug auf Zusammenhänge zwischen un- terschiedlichen Fluoridquellen (Trinkwasser, Zahnpaste, Tabletten) und ihrem IQ verfolgt wurden [4]. Die Studie findet keine Hinweise auf derartige Zusammenhänge. Ungereimtheiten im Umfeld der Studie Im Jahr 2014 wurde an der Universität Michigan von einer der Co-Autorinnen der vorliegenden Studie eine Dissertation ver- öffentlicht, die sich mit genau der gleichen Fragestellung befasst, im Unterschied zu der jetzt publizierten Studie allerdings im Alter der Kinder von ein bis drei Jahren [10]. Zu- sätzlich wurde der IQ der Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren in Relation zum Fluoridgehalt im Urin der Kinder untersucht. Vier der fünf Gutachter der Promotions- arbeit sind Co-Autoren der später veröffent- lichten Studie von Bashash et al., die die Assoziation von Fluorid im mütterlichen Urin und den kognitiven Fähigkeiten der Kinder beschreibt [1]. Die jeweils mit der Thematik befassten Personen sind also zum großen Teil identisch. Die Ergebnisse der Dissertation sind er- staunlich. Zur Fragestellung der Assoziation von Fluorid im Urin der Mütter mit den kognitiven Fähigkeiten der Kleinkinder wird berichtet, dass die Fluoridexposition der werdenden Mütter keinen messbaren Effekt auf die kognitiven Fähigkeiten ihrer Kinder im Alter von ein bis drei Jahren hatte. Noch erstaunlicher sind die Ergebnisse bezüglich des Fluoridgehalts im Urin der älteren Kin- der und ihrem IQ: Für Jungen wurde eine positive Korrelation gefunden, das heißt, bei höherer Fluoridexposition wiesen die Jun- gen signifikant höhere IQ-Werte auf („This analysis suggests concurrent urinary fluoride exposure has a strong positive impact on cognitive development among males aged 6 to 15 years.“). Diese Ergebnisse werden in der jetzt publizierten Studie nicht erwähnt. Beide in der Studie verwendeten kognitiven Indizes sind so aufgebaut, dass der Median- wert großer untersuchter Populationen bei 100 Punkten liegt. In der vorliegenden Untersuchung betrugen der mittlere GCI 96,9 und der mittlere IQ 96,0. Der Punktebereich von 85 bis 115 Punkten gilt als durchschnittlicher Ein kapitaler Trugschluss: Die systemische Fluorid- aufnahme der Mexiko-Studie (etwa über das Trink- wasser) ist eben nicht mit der lokalen Fluoridierung von Zahnoberflächen in Deutschland vergleichbar. Foto: seb-ra - iStockphoto.com 48 Zahnmedizin

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