Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 108, Nr. 01-02, 16.1.2018, (49) Die Publikation mit dem Titel „Prenatal fluoride exposure and cognitive outcomes in children at 4 and 6–12 years of age in Mexico (Environ Health Perspect 2017; 125: 0970171. DOI: 10.1289/EHP655) von Bashas M et al. hat ein großes Medien- interesse gefunden. Wie bei vielen anderen kritischen Berichten zu zahnärztlichen Maß- nahmen, wurde dabei aber der Original- artikel nicht sorgfältig gelesen. Die Presse hat offensichtlich auf die Aussagen aus dem Abstract Bezug genommen. Dabei gilt wahrscheinlich das Prinzip „Bad news are good news“. Im Gegensatz dazu be- schreibt Prof. Schiffner die auch von den Autoren der Studie im Diskus- sionsteil aufgezeigten Schwächen und Unge- reimtheiten. Aus wissenschaftlicher Sicht kann man den Aus- führungen von Prof. Schiffner zu 100 Prozent zustimmen und hoffen, dass die in Deutschland durchgeführten Fluoridierungsmaßnahmen durch die Fehlinformation nicht wieder in Misskredit geraten. Es sei in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, dass – wie von Prof. Schiffner klar herausgestellt – die Studie in Widerspruch zu anderen Un- tersuchungen steht und dass die gefundenen Ergebnisse keinesfalls auf Deutschland übertragen werden können. Prof. Dr. Elmar Hellwig Department für ZMK-Heilkunde Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie Universitätsklinikum Freiburg Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg elmar.hellwig@uniklinik-freiburg.de Kommentar von Prof. Dr. Elmar Hellwig Foto: Bamberger Bereich [3]. Der mittels Regressionsanalyse errechnete Zusammenhang, dem zufolge für jede Steigerung von 0,5 mg Fluorid im Urin der schwangeren Frauen der GCI und der IQ ihrer Kinder um 3,15 beziehungs- weise 2,50 Punkte absinken, belässt fast alle Kinder in der Gruppe mit durchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten. Eine klinische Relevanz des ermittelten Zusammenhangs ist daher zu hinterfragen, zumal sich der Zusammen- hang für den IQ erst ab höheren Fluorid- konzentrationen im Urin gezeigt hat. Bis zu 0,8 ml Fluorid pro Liter Urin zeigte sich hier überhaupt kein Zusammenhang. Im Übrigen wurde in der Studie auch der Zusammenhang zwischen Fluoridkonzen- tration im Urin der Kinder und ihrem IQ überprüft. Dabei konnte kein Zusammen- hang ermittelt werden. Anmerkung zum Ziel der Veröffentlichung Zielrichtung der von Bashash et al. publizier- ten Studie ist zum einen, die Sicherheit der systemischen Fluoridierung zu diskutieren [1]. In erster Linie ist hier die in den USA ver- breitete Trinkwasserfluoridierung adressiert. Dies ist jedoch in keiner Weise für die in Deutschland etablierten Maßnahmen der lokalen Fluoridapplikation von Relevanz. Zum anderen ist es eine aus der Veröffent- lichung von Bashash et al. unmittelbar ab- zuleitende Zielrichtung, mit der Publikation die Zuteilung weiterer Forschungsgelder zu generieren [1]. Dies mag im üblichen For- schungsgeschäft nachvollziehbar sein. Wenn dadurch jedoch Schwangere, in retrospektiver Sicht Mütter und unter gesundheitspolitischen Aspekten bewährte zahnmedizinische Kon- zepte der lokalen Fluoridapplikation zur Kariesprävention diskreditiert werden, ist eine bedenkliche Grenze überschritten. Zusammenfassung In der Studie werden statistische Assozia- tionen, aber keine Kausalitäten beschrieben. Der verwendete Urin („Spoturin“) ist für eine Bestimmung der Fluoridexposition nicht geeignet. Die gemäß der Studienautoren für die Schwangeren relevanten Fluoridquellen sind systemische Quellen. Lokale Fluoridierungs- maßnahmen sind davon nicht berührt. Die aufgezeigten IQ-Unterschiede scheinen wenig relevant. Die Studie steht in Widerspruch zu anderen Untersuchungen, die sich mit der gleichen Studienfrage befasst haben. Es bestehen Anzeichen, dass mit der Publikation letztlich nur Aufmerksamkeit für die Einwerbung weiterer Forschungsgelder geschaffen werden soll. Fazit Der in der Studie gefundene statistische Zusammenhang zwischen Fluoridgehalt im Urin werdender Mütter in Mexiko-Stadt und kognitiven Fähigkeiten ihrer Kinder hat für unsere zahnmedizinisch begründeten Maßnahmen der Kariesprophylaxe bei Schwangeren, aber ebenso auch bei Kin- dern, keine Bedeutung. Zahnmedizinische Betreuungskonzepte für Schwangere und ihre Kinder bleiben unverändert gültig und sicher. Prof. Dr. Ulrich Schiffner Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Zentrum für Zahn,- Mund- und Kiefer- heilkunde Poliklinik für Zahn- erhaltung und Präventive Zahn- heilkunde Martinistr. 52 20246 Hamburg schiffner@uke.de Dieser Beitrag ist ein Nachdruck aus „Oralprophylaxe und Kinderzahnheilkunde“ 4/2017 mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzteverlags. Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Foto: privat 49

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