Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 108, Nr. 4, 16.2.2018, (241) Beitrags aber immer stärker einer Einkommen- steuer ähneln und folglich den Versicherung- scharakter der GKV vollends auflösen. Konse- quent zu Ende gedacht mündet deshalb der Einwand einer mangelnden Verteilungs- gerechtigkeit in einer strikten Trennung von Versicherungsausgleich auf der einen und Einkommensumverteilung auf der anderen Seite, wie es die „Fünf Weisen“ mit ihrem Modell der Bürgerprämie vorschlagen. Angesichts des überproportional starken Ausgabenwachstums soll die Frage nach der Finanzierung aber bei den folgenden Überlegungen in den Hintergrund treten. Was sind die Gründe für die Ausgabenent- wicklung? Zum einen wird der medizinisch- technische Fortschritt als Treiber genannt. Neue Behandlungsmöglichkeiten würden – so das Argument – einseitig mit Blick auf den medizinischen Zusatznutzen erschlossen, ohne die damit einhergehenden zusätzlichen Kosten gegenzurechnen. Warum sollen aber technologische Basis- entwicklungen zum Beispiel in der Informa- tionstechnologie ausgerechnet im Gesund- heitswesen zu anderen Effekten führen als in nicht-medizinischen Bereichen? Möglicher- weise sind es auch die institutionellen Bedingungen, unter denen Neuerungen eingeführt werden, die problematisch wir- ken, und nicht die Innovation selbst. So werden zum Beispiel beim Versicherten Anreize zu einer kostenbewussten Nachfra- ge systematisch durch die lohnsteuerähnli- che Wirkung der Beitragsfinanzierung und eine kostenlos freie Anbieterwahl unter- drückt. Werden aber die Vorteile einer kos- tenbewussten Nachfrage im Versicherten- kollektiv sozialisiert, dann erlischt auch das Interesse jedes einzelnen Versicherten an ef- fizienzsteigernden Innovationen. Das gilt im Übrigen weniger für jene Leistungsbereiche, in denen der Patient schon heute gezwun- gen ist, einen spürbaren Kostenanteil zu übernehmen, der je nach Leistungsumfang variieren kann (zum Beispiel in der zahnme- dizinischen Versorgung). Schließlich wird der demografische Wandel zu erheblichen Anpassungslasten führen. Denn weil das Gesundheitsrisiko typischerweise mit dem Lebensalter steigt, die älteren Klassen künf- tig aber häufiger besetzt sein werden, stei- gen die durchschnittlichen Ausgaben einer umlagefinanzierten Krankenversicherung unweigerlich. Gleichzeitig wächst die Zahl der Ruheständler, die aufgrund ihrer niedri- geren Alterseinkommen bei gleichem Bei- tragssatz einen geringeren Beitrag entrich- ten als erwerbstätige GKV-Mitglieder. In der Folge drohen steigende Beitragssätze. µ Auch die geforderte Angleichung der Honorarordnungen für gesetz- lich und privat Versicherte hat keinen Ein- fluss auf die ausgabenseitigen Probleme der GKV. Im Gegenteil kann sich bei ei- nem einheitlichen Entgeltsystem die Ver- sorgung der gesetzlich Versicherten ver- teuern. Am Beispiel des Risiko- und Einkommens- ausgleichs zwischen Jung und Alt wird deut- lich, dass damit auch das Solidaritätsprinzip in der GKV unter Rechtfertigungsdruck gerät. Denn der Solidarbeitrag, den vor allem die jeweils jüngeren Mitglieder leisten, fällt für jede nachfolgende Kohorte höher aus als bei den Gleichaltrigen der jeweils vorangegan- genen. Zwar bleibt das Solidaritätsprinzip zwischen Jung und Alt in jeder Periode ge- wahrt. Ob damit aber die systematische Lastverschiebung auf die jüngeren Beitrags- zahler vereinbar ist, wird mit wachsender Dringlichkeit zu diskutieren sein. Würde die GKV durch die PKVler wirklich entlastet? Inwieweit die Solidargemeinschaft der GKV- Versicherten durch eine Bürgerversicherung entlastet werden kann, hängt nun davon ab, ob der Beitrag eines bislang privat Ver- sicherten über die gesamte Versicherungs- zeit höher ausfällt als die zu erwartenden Mehrausgaben. Schauen wir mal genau hin: Unterstellt man zunächst für privat Krankenversicherte ein durchschnittliches Ausgabenrisiko, dann gilt es keineswegs als ausgemacht, dass alle Selbstständigen und Beamten zu den für die GKV günstigen Risiken gehören. Lediglich bei den privat versicherten Arbeitnehmern darf unterstellt werden, dass die allermeisten zu den Besser- verdienenden gehören und in der GKV den Höchstbeitrag zahlen würden. Selbst bei einem vergleichsweise hohen Finanzierungsbeitrag können Personen mit niedrigen oder höheren Gesundheitsrisiken hinzukommen. Tatsächlich ist der einfache Brückenschlag „hohe Einkommen = gute Gesundheit“ statistisch nicht eindeutig. Vielmehr korrelieren beide Größen mit dem Bildungsstand, so dass zum Beispiel eine vermehrte Wahl von Teilzeitarbeit den unterstellten Zusammenhang infrage stel- len kann. Außerdem wird die Altersstruktur der hinzukommenden Gruppen Einfluss auf die Risikomischung in der GKV-Population haben. Weisen zum Beispiel Beamte eine ungünstigere Altersstruktur auf als der Mitgliederbestand in der GKV, droht der Solidargemeinschaft ein „Verlustgeschäft“ selbst bei ansonsten vergleichbaren alters- abhängigen Ausgabenprofilen. Während nicht erwerbstätige Ehepartner und Kinder in der PKV gegen Zahlung einer separaten Prämie abgesichert sind, würden diese in der gesetzlichen Solidargemeinschaft beitragsfrei versorgt. Dann müssen deren Kostenrisiken dem beitragszahlenden Mit- glied zugerechnet werden, so dass auch ein gesundes und beitragsstarkes Mitglied über längere Zeit zu einem Kostenrisiko für die GKV werden kann. Conclusio: Zur Lösung der demografisch be- dingten Probleme in der GKV würde eine Bürgerversicherung nur beitragen, wenn die hinzukommenden Erwerbsgruppen – aktuell und künftig – bei ansonsten gleichen Merk- malen eine günstigere Altersstruktur und ein günstigeres generatives Verhalten als die GKV-Versicherten zeigen. Hierfür gibt es kei- ne „hinreichenden“empirischen Indizien. Auch die geforderte Angleichung der Hono- rarordnungen für gesetzlich und privat Versicherte hat keinen Einfluss auf die ausgabenseitigen Probleme der GKV. Im Gegenteil weisen unterschiedliche Akteure darauf hin, dass sich bei einem einheitlichen Entgeltsystem die Versorgung der gesetzlich Versicherten verteuern kann. Das Beispiel des britischen Gesundheitswesens mag zu- dem verdeutlichen, dass auch in einem ein- heitlichen System nicht verhindert werden kann, dass die zahlungskräftige Klientel auf Angebote außerhalb des Systems aus- 16 Politik

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