Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05
zm 108, Nr. 5, 1.3.2018, (376) Ethische Dilemmata, also Situationen, in denen der Zahnarzt zwischen zwei konkur- rierenden, nicht miteinander zu vereinba- renden Handlungsoptionen zu entschei- den oder den Patienten zu beraten hat, las- sen sich mit den Instrumenten der Medi- zinethik lösen. Viele der geläufigen Ethik- Konzeptionen (wie die Tugendethik, die Pflichtenethik, der Konsequentialismus oder die Fürsorge-Ethik) sind jedoch stark theoretisch hinterlegt und aufgrund ihrer Komplexität in der Praxis nur schwer zu handhaben. Eine methodische Möglichkeit von hoher praktischer Relevanz besteht hingegen in der Anwendung der sogenannten Prinzi- pienethik nach Tom L. Beauchamp und James F. Childress: Hierbei werden vier Prinzipien „mittlerer Reichweite“, die un- abhängig von weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen als allgemein gültige ethisch-moralische Eckpunkte an- gesehen werden können, bewertet und ge- geneinander abgewogen. Drei dieser Prinzipien – die Patientenauto- nomie, das Nichtschadensgebot (Non-Ma- lefizienz) und das Wohltunsgebot (Benefi- zienz) – fokussieren ausschließlich auf den Patienten, während das vierte Prinzip Ge- rechtigkeit weiter greift und sich auch auf an- dere betroffene Personen oder Personen- gruppen, etwa den (Zahn-)Arzt, die Familie oder die Solidargemeinschaft, bezieht. Für ethische Dilemmata gibt es in den meis- ten Fällen keine allgemein verbindliche Lö- sung, sondern vielfach können diffe- rierende Bewertungen und Handlungen resultieren. Die Prinzipienethik ermöglicht aufgrund der Gewichtung und Abwägung der einzelnen Faktoren und Argumente subjektive, aber dennoch nachvollziehbare und begründete Gesamtbeurteilungen und Entscheidungen. Deshalb werden bei klinisch-ethischen Falldiskussionen in den zm immer wenigstens zwei Kommen- tatoren zu Wort kommen. Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth Die Prinzipienethik platte) zu gefährden. Es ist nicht davon aus- zugehen, dass sich die gesundheitliche Ver- fassung von R. durch eine unterlassene gebietsärztliche Abklärung innerhalb der nächsten Tage verschlechtern wird. Aller- dings wird das Unterbleiben weiterer diagnostischer Maßnahmen mittelfristig mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Schädigung des Patienten führen. Bei der Beurteilung des Benefizienz-Prinzips stehen die Bedürfnisse und das „Wohl- ergehen“ des Patienten im Vordergrund. Augenscheinlich benötigt R. Unterstützung in einigen Bereichen des Alltags, beispiels- weise bei der Körperpflege und bei der Organisation von Arztterminen. Hiervon auf eine generelle Unselbstständigkeit zu schließen, wäre aus meiner Sicht völlig falsch. Neben dem bereits erwähnten juris- tischen Aspekt ist bei einer Informations- weitergabe an die Kinder das Verhältnis zum Vater zu beachten. Wäre dies gestört, würde eine möglicherweise von deren Seite stattfindende Intervention von R. als unge- rechtfertigte Einmischung in sein Leben empfunden werden und dies sein „Wohl- ergehen“ nicht zwangsweise fördern. Gerechtigkeit: In der vorliegenden Falldarstellung werden neben der Autonomie des Patienten vor allem nachvollziehbare Interessen der nächsten Angehörigen von R. berührt. Es ist Foto: Rawpixel - Fotolia.com 24 Patientenautonomie versus Fürsorgepflicht
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