Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05

zm 108, Nr. 5, 1.3.2018, (379) Patienten nicht nur in seiner Mundhöhle zu helfen. Da der Fall schwierig abzuwägen ist, wurden die vorgeschlagenen Lösungs- möglichkeiten mithilfe der Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress erörtert und wie im Folgenden dargelegt begründet. Nichtschadensgebot und Benefizienz-Prinzip: Mit Blick auf das Nichtschadensgebot kann argumentiert werden, dass der Patient das Vertrauen in den Zahnarzt verlieren könnte, wenn dieser Kontakt mit den Kindern auf- nimmt. Jedoch sollte hierbei berücksichtigt werden, dass es meistens besser ist, erst ein- mal die Kinder zu kontaktieren, als ein Be- treuungsgericht einzubeziehen. Möglicher- weise würde hier ein Richter eine Betreuung einrichten, die schnell einen Einzug in eine Einrichtung veranlasst (Aufenthaltsbestim- mungsrecht des Betreuers). Da der Patient angibt, keine Probleme zu haben und gut zurechtzukommen, könnte diese Verände- rung für ihn bedeuten, seinen bisherigen Lebensstil beziehungsweise seine in seinem Wertesystem gute Lebensqualität zu verlie- ren. Der Mensch hat auch ein Recht auf Verwahrlosung. Durch das Eingreifen des Zahnarztes könnte dem Patienten aber auch Gutes getan werden: Die vom Zahnarzt beobachtete Verwahr- losung könnte beendet werden. Mit pro- fessioneller Unterstützung könnte dem Patienten eine bessere Versorgung, sowohl physisch als auch psychisch, geboten werden. Regelmäßige Nahrungsangebote könnten auch den allgemeinen Gesund- heitszustand stabilisieren und in einer Wohngruppe des betreuten Wohnens mit Gleichgesinnten könnten sich neue Freund- schaften entwickeln. Hier könnte es auch wieder eine Motivation zur besseren Mund- hygiene geben. Ein wichtiger Aspekt wäre auch, dass der Patient, falls eine demenzielle Erkrankung vorliegt, durch eine Betreuung einen Schutz bei rechtlichen sowie vor selbst- und fremdgefährdenden Handlungen hätte. Respekt vor der Patientenautonomie: Aus Sicht des Respekts vor der Patienten- autonomie wird bei einem Eingreifen des Zahnarztes ohne Einwilligung des Patienten dieser übergangen. Primär ist diese Ver- letzung der Patientenautonomie jedoch der Klärung des aktuellen Sachverhalts geschuldet. Der Zahnarzt wäre durch die Kontaktaufnahme (Kinder/Hausarzt) in der Lage, seine Beobachtungen mit Fremd- beobachtungen abstimmen zu können. Dies könnte zu einer Klärung der Sachlage und zur Verhinderung von Überaktionismus beitragen. Gerechtigkeit: Beim Prinzip der Gerechtigkeit ist nicht nur der Patient einzubeziehen, sondern in gleichem Maße dessen soziale Umgebung. Da der Patient alleine wohnt, ist bei einem Fortschreiten der demenziellen Erkrankung auch davon auszugehen, dass er die Anfor- derungen des Alltags zunehmend schlech- ter bewältigt. Durch das Auseinandersetzen mit einer möglichen demenziellen Erkran- kung und deren Folgen könnte auch eine Gefahrenbegrenzung für andere Personen in seinem Umfeld erfolgen. Dr. Julia Kunze Klinik für Allgemein-, Behinderten- und Seniorenzahnmedizin Zentrum für Zahnmedizin Universität Zürich Plattenstr. 15, CH-8032 Zürich Prof. Dr. Ina Nitschke, MPH Klinik für Allgemein-, Behinderten- und Seniorenzahnmedizin Zentrum für Zahnmedizin Universität Zürich Plattenstr. 15, CH-8032 Zürich und Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde Universitätszahnmedizin Leipzig Universität Leipzig Liebigstr. 12, 04103 Leipzig Alle bisher erschienenen Fälle lesen Sie hier. Ethische Falldiskussionen M EHR AUF ZM - ONLINE Foto: Rawpixel - Fotolia.com Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt? Schildern Sie das ethische Problem – die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf. Kontakt: Prof. Dr. Ralf Vollmuth vollmuth@ak-ethik.de Schildern Sie Ihr Dilemma! A UFRUF 27

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