Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07
zm 108, Nr. 7, 1.4.2018, (663) als zweimal täglich putzen, haben höhere Karieswerte. Beim Zucker kommt es vor allem auf die Frequenz an Wenngleich Zucker und andere Kohlen- hydrate in der Kariesätiopathie natürlich unbestritten sind, ist fraglich, ob die Ernäh- rungslenkung beziehungsweise die Zucker- restriktion einen erfolgreichen Ansatz in der Kariesprophylaxe bietet. Die wissenschaftliche Evidenz dazu ist sehr dünn oder Studien be- legen gar die Wirkungslosigkeit [de Silva et al., 2016; Cooper et al., 2013; Kay & Locker, 1998]. Das kann an deren mangelhafter Umsetzung, aber auch an einer sehr reich- haltigen, kohlenhydratlastigen Gesamter- nährung liegen. Für Deutschland kann kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Karies und vermehrten Zwischenmahlzeiten nachgewiesen werden [IDZ, 2016]: Auch klassische „Risikonahrung“ wie Süßigkeiten, Fruchtsäfte, Sportlergetränke, Kuchen oder Eis war bei 12-Jährigen nicht verstärkt mit Karies assoziiert. Dies bedeutet, dass Mundhygiene und Fluoride die hohe Kohlenhydratlast unserer Ernährung bezüglich des Kariesgeschehens kompensieren können. In Deutschland werden schon seit Jahrzehnten rund 30 bis 35 kg Zucker pro Person pro Jahr konsu- miert [Statista, 2018] und trotzdem konnten extrem eindrucksvolle Kariesreduktionen in den vergangenen Jahrzehnten – insbeson- dere in der bleibenden Dentition – für alle Bevölkerungsgruppen erzielt werden [Team DAJ, 2017; IDZ, 2016]. Schon lange bekannt ist, dass die Frequenz der Zuckeraufnahme eine wichtigere Rolle für die Kariesentwicklung spielt als die alleinige Zuckermenge [Anderson et al., 2009], das heißt, insbesondere die hoch- frequente Aufnahme von Zuckern, zum Beispiel durch zuckerhaltige Erfrischungs- getränke, begünstigt die Kariesentstehung. Auch in anderen Ländern ist seit dem Einsatz von Fluoriden der Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Karies deutlich geringer [Masood et al., 2012]. Trotzdem erscheint es für die Gesamtgesundheit günstiger, den Zuckerkonsum generell zu reduzieren, was aber nicht primäre Aufgabe der zahnmedi- zinischen Prävention ist und kaum karies- präventive Effekte haben dürfte. Aus zahnmedizinischer Sicht sollte eine intensivierte Ernährungslenkung bei er- kennbarem Fehlverhalten eher individual- prophylaktisch eingesetzt werden. Vor allem die frühkindliche Karies („Nuckelflaschen- karies“) ist stark ernährungsbedingt und eine Veränderung der Ernährungs- beziehungs- weise Trinkgewohnheiten und des Verhaltens könnten hier erfolgreich sein – insbesondere beim Einsatz von „motivational inter- viewing“ [Sälzer et al., 2017]. Allerdings ist auch hier die regelmäßige Mundhygiene mit Fluoridzahnpaste für viele Eltern einfacher umzusetzen als die Entwöhnung von süßen Getränken aus der Nuckelflasche. Eine Kariesprävention, die mehrheitlich auf den Parametern Ernährung und Belag- entfernung, aber ohne Fluorideinsatz be- ruht, läuft damit sowohl in der Individual- als auch in der Gruppenprophylaxe konträr zur wissenschaftlichen Evidenz [de Silva et al., 2016; Cooper et al., 2013, Kay & Locker, 1998]. Bezüglich der Ernährungslenkung erscheint nur die Reduktion von „getrunkenem“ Zucker aus der Nuckelflasche oder als Erfrischungs- getränk kariespräventiv, während ein „ge- sundes“ Frühstück bezüglich der Karies- prävention wirkungslos sein dürfte, da bei jeder Hauptmahlzeit genügend – oft ver- steckte – Zucker aufgenommen werden. Apfel(saft-Schorle), Banane, Müsli und Voll- kornbrot sind hochgradig kariogen, auch wenn sie als „gesunde“ Nahrung gelten und von Ernährungsberatern präferiert werden. Wie kann man die Fluorid- nutzung verbessern? Wenn die Erfolge in der Kariesprävention im Wesentlichen durch die Fluoride bedingt sind, liegt es nahe, einen Zusammenhang zwischen den unverändert hohen Karies- werten im Milchgebiss und Potenzialen in der Fluoridnutzung zu suchen. Ein zentraler Baustein könnte dabei die Zahnpaste sein: So enthält Kinderzahnpaste mit 500 ppm in Deutschland zurzeit nur ein Drittel des Fluorids von Erwachsenenzahnpaste. Auf- grund der klaren Dosis-Wirkung-Beziehung [Walsh et al., 2010] ist es wahrscheinlich, dass ein Teil der Milchgebisskaries auf den niedrigen Fluoridgehalt der Kinderzahnpaste zurückzuführen ist und daher darüber nach- zudenken wäre, die Fluoridempfehlungen für Deutschland den Europäischen Empfeh- lungen mit mindestens 1.000 ppm ab zwei Jahren anzupassen [EAPD, 2009]. Bei Kindern mit erhöhter Kariesaktivität oder erhöhtem Foto: KZBV/BZÄK, Fotografin: Santamaría ... Zahnpaste vom ersten Zahn an stellt hier die wichtigste Präventionsmaßnahme dar (b). Dabei wäre zu erwägen, ob wegen der erhöhten Wirksamkeit nicht ab zwei Jahren anstelle von Kinderzahnpaste (500 ppm) eine Juniorzahnpaste mit mindestens 1.000 ppm genutzt werden sollte [EAPD, 2009; Walsh et al., 2010], insbesondere bei erhöhter Kariesaktivität. 31
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