Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07
zm 108, Nr. 7, 1.4.2018, (664) Kariesrisiko wäre es heute schon sinnvoll, ab zwei Jahren der europäischen Empfehlung mit dem Einsatz einer Juniorzahnpaste (1.250–1.450 ppm) zu folgen. Außerdem ist der Dissens der Pädiater und Zahnärzte in Deutschland über die Mund- hygienemaßnahmen und die Nutzung von Fluoridzahnpaste für viele Eltern verwirrend: Während die Pädiater in der Kariesprävention oftmals gar die Fluoridtablette favorisieren und damit das Zähneputzen nur sekundär anstreben, empfehlen die Zahnärzte das Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpaste vom ersten Zahn an. Insgesamt ergeben sich damit im Klein- kindalter sehr divergente und oft auch un- wirksame Maßnahmen zur Kariesprävention. So wird die D-Fluorette oft vom Pädiater be- reits vor Durchbruch des ersten Milchzahns verschrieben, was wegen der fehlenden lokalen Wirkung kaum einen kariespräven- tiven Effekt bei deutlichem Fluoroserisiko bedeutet. Damit wäre die Übernahme der europäischen Empfehlungen sinnvoll, um für alle Bevölkerungsschichten das regelmäßige Zähneputzen mit adäquater Fluoridzahnpaste vom Kleinkindalter an zu etablieren (Abbildung 1). Weiterhin geben die englischen, auf einem systematischen Review beruhenden und damit evidenzbasierten Empfehlungen eine gute Übersicht, welche Maßnahmen für das Milchgebiss im Allgemeinen und bei erhöh- tem Kariesrisiko sowohl in der Praxis als auch häuslich eingesetzt werden sollten (Tabelle 1) [Public Health England, 2017]. Entsprechend den Ausführungen oben enthalten diese Maß- nahmen häufig das Wort Fluorid in allen Ap- plikationsformen, worauf der primäre Fokus in der Kariesprävention liegen sollte. Andere Maßnahmen sind eher additiv. Dies wäre für eine zeitgemäße und wirksame Gruppenpro- phylaxe essenziell, wie erfolgreiche Pilotpro- gramme in Greifswald oder Osnabrück-Land belegen [Schüler, 2015; Brunner-Strepp, 2001]. Die schmerzhafte Lücke im Gebührenkatalog In der Individualprophylaxe fehlen derzeit jegliche kariespräventiven Maßnahmen im Gebührenkatalog vor dem 30. Lebenmonat, also im Kleinkindalter bis 2½ Jahre, was angesichts der hohen Raten von Frühkind- licher Karies und damit assoziierten Narkose- sanierungen bei schweren Fällen für ein hoch entwickeltes Land kaum begründbar ist. Ein in Deutschland erfolgreich getestetes Modell liegt sogar schon vor [Wagner & Heinrich- Weltzien, 2017]: In Jena wurden die Eltern aller Neugeborenen über den kommunalen Öffentlichen Gesundheitsdienst aufgesucht, über allgemeine medizinische und zahn- medizinische Gesundheit beraten und auf die zahnärztliche Individualprophylaxe vom ersten Zahn an aufmerksam gemacht. Die Beratung enthielt folgende Elemente: Beratung der Mütter zur Bedeutung des Stillens Empfehlungen zur Nutzung von Nuckel- flaschen und Schnullern Empfehlungen für eine gesunde Ernährung Bedeutung von regelmäßigen Besuchen beim Kinderarzt und des Screenings der Kariesentwicklung von kariespräventiven Maßnahmen Empfehlung zum einmal täglichen Zähne- putzen mit Durchbruch des ersten Zahnes unter Nutzung von fluoridhaltiger Kinder- zahnpaste (500 ppm F - ), ab dem zweiten Prozent bedeutend 0 20 40 60 80 100 Ernährung Plaqueentfernung Fluoride Andere Faktoren gesunde Zähne Quelle: Brathall et al., 1996; Kay & Locker, 1998; de Silva et al., 2016; Cooper et al., 2013; Marinho et al., 2009 gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen Zahnpflege Ernährung Fluoride Zahnarztbesuch gesunde Zähne Abbildung 2: Klassische Darstellung der vier Säulen der Kariesprävention (a) ... Quelle: Brandenburger Kinderzähne, 2018 ... und der Evidenzlage (b)] in der grafischen Gegenüberstellung 32 Politik
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