Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08

zm 108, Nr. 8, 16.4.2018, (775) Patienten objektivierbare fachliche Kriterien der (Zahn-)Arztwahl abhanden“ [Groß D, Groß K, 2002]. Bereits in den 1990er-Jahren tauchen jedoch auch Forderungen nach einer Lockerung der strengen Werbeverbotsregeln auf. Lei- tend war hier der Hinweis auf das Informa- tionsbedürfnis des Patienten, der ein Recht auf Information über besondere Qualifika- tionen oder Tätigkeitsschwerpunkte eines Zahnarztes habe. In der Rechtssprechung wog zunehmend das Rechtsgut der Berufs- ausübungsfreiheit schwerer als die Werbe- beschränkungen in den zahnärztlichen Berufsordnungen. Die zunehmende Ver- breitung des Internets schuf zudem neue Möglichkeiten der Kommunikation, die die Verschiebung des Zeitgeistes in Richtung zunehmender Liberalisierung noch be- schleunigten. Es erscheint heutzutage ganz und gar nicht mehr vorstellbar, von Praxis- inhabern zu fordern, sie sollten sich in ihren Internetpräsenzen auf normierte Angaben zu Namen, Berufsbezeichnung und Sprech- zeiten beschränken. Die im Zuge der neu ge- schaffenen Spielräume durch die Novellie- rungen der MBO in den Jahren 2005 und 2010 sich entwickelnde Kultur der Außendar- stellung und Patienten- kommunikation der Zahnarztpraxen darf man in vielerlei Hinsicht durchaus als vorbildlich beschrei- ben. Die übergroße Mehrheit verzichtet auf reklameartige Außendarstellungen, was an den Internetpräsenzen ablesbar ist. Im Mittelpunkt steht die sachliche Information zu eigenen Leistungen und zur zahnmedizi- nischen Diagnostik und Therapie. Es zeigt sich, dass die Abneigung gegen werbliche Selbstanpreisung tatsächlich ein intrinsisches Merkmal des Berufsstands ist und auch ohne das enge Korsett von Reglementierungen gelebt wird. Die schleichende Vergewerblichung Dennoch ist unübersehbar, dass sich in den letzten Jahren die Entwicklung hin zu einer Vergewerblichung der Zahnheilkunde ver- stärkt. Dazu haben auch politische Initiativen beigetragen, insbesondere die mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 möglich gemachte Gründung arztgruppen- gleicher Medizinischer Versorgungszentren (MVZ). Ursprünglich sollte diese Maßnahme die hausärztliche Versorgung stärken, eine „Nebenwirkung“ des Gesetzes war jedoch, dass ab sofort auch rein zahnärztliche MVZ gegründet werden konnten. Diese Möglich- keit wird immer häufiger genutzt, so dass insbesondere in den bereits überversorgten Ballungsräumen Großversorgungsstrukturen entstehen, die von einem gewerblichen Un- ternehmen kaum noch zu unterscheiden sind. Die Hemmschwellen zur werblichen Selbstanpreisung sinken entsprechend: Eine Berliner MVZ-Praxiskette wirbt auf ihrer Homepage mit dem Text „Der Zahnarzt nur für mich“ und bietet gleich noch den kostenlosen „Fahrservice für Patienten von Tür zu Tür“ an. Ein MVZ in München wirbt mit „hochmoderne[r] Zahnmedizin ‚Made in Germany‘“ – das klingt schon fast so, als ob die zahnärztliche Kollegin ein paar Straßen weiter nicht mehr „in Germany“ praktizieren würde. Mit „sachangemessene[r] Information [des Zahnarztes] über seine Berufstätigkeit“ [MBO BZÄK, 2017], wie es die Muster- berufsordnung der Bundeszahnärztekammer in Abgrenzung zur berufsrechtswidrigen Wer- bung fordert, hat diese Außen- darstellung rein gar nichts mehr zu tun. Lange Zeit sind die Zahnärztekammern konsequent gegen berufsrechtswidrige Werbung ihrer Mitglieder vorgegangen. Dabei wurden berufsrechtliche Sanktionie- rungen nicht selten durch gerichtliche Ent- scheidungen wieder aufgehoben – oft galt das Recht freier Berufsausübung in der juris- tischen Abwägung mehr als das Berufsrecht. Die Berufsordnungen sind – als verbindlich gesetzter Rechtsrahmen – so über die Jahre hinweg in ihrer praktischen Bedeutung im- mer weiter zurückgesetzt worden. Warum soll sich ein Zahnarzt noch an das Berufs- recht halten, wenn er die drohenden Sank- tionen seiner Kammer ohnehin mit guten Erfolgschancen „wegklagen“ kann? Mög- licherweise ist das einer der Gründe dafür, warum die berufsrechtlichen Vorgaben zur Außenkommunikation insbesondere im MVZ-Bereich offensichtlich kaum noch be- achtet werden. Die Vergewerblichungstendenzen sind aber mitnichten ein Produkt des gewandelten Zeitgeistes, sondern entspringen gesetz- geberischen Maßnahmen, die letztlich im Blick auf die demografische Entwicklung Kostenbegrenzungen im Gesundheitswesen ermöglichen sollen. Zu diesem Zweck möchte die Politik den Wettbewerb unter den „Leistungserbringern“ im Gesundheits- wesen fördern. Mithilfe des Wettbewerbs ließen sich Effizienzpotenziale erschließen – so die Argumentation. Vermutlich ist des- halb in der Politik auch die Bereitschaft vor- handen, negative Folgen des Wettbewerbs eine gewisse Zeit lang zu tolerieren, um die Effekte der politischen Maßnahmen in der Gesamtschau beobachten zu können. In der Praxis gestaltet sich die politisch an- gestachelte Konkurrenz im zahnärztlichen Bereich inzwischen zu einem Verdrängungs- wettbewerb, bei dem quasigewerbliche Groß- versorgungsstrukturen ein gewachsenes, vergleichsweise wenig kommerzialisiertes Versorgungssystem angreifen. Im Gepäck dieses Verdrängungswettbewerbs explodie- Foto: Jan Engel/alekseyvanin/Arcady/marinashevchenko – Fotolia_Jameda 15

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