Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08
zm 108, Nr. 8, 16.4.2018, (768) 8 Leserforum stern – Passen die Urteile zu den Fakten? Leserbrief zu „Antwort des stern-Autors“ zum Leserbrief „Publikumspresse – Die unsinnigen Verunglimpfungen des stern“, zm 7/2018, S. 8–11. In der Forschung gibt es Fakten, und es gibt Urteile. Die Über- schrift „Die teuren Tricks der Zahnärzte“ macht klar, wo es lang gehen soll. Wer liest schon das Kleingedruckte? Folgende Fakten werden be- nannt: 1. Befunderhebungsmethoden (z. B. mit oder ohne Assistenz, Spiegel, Trocknung, Lupenbrille, Röntgendiagnostik, PSI) sind nicht standardisiert. Quellen: Urteil Interessen gebundener (AOK etc.) Institute. O-Ton des Autors: „Defizite in der Befund- erhebung“. 2. Identische Befunde werden von unterschiedlichen Behand- lern unterschiedlich bewertet. O-Ton des Autors: „Qualitäts- mängel“. 3. Dies führt zu unterschiedlichen Therapie- und unterschiedlichen Kostenplänen. O-Ton des Autors: siehe oben 4. In Heil- und Kostenplänen werden Material- und Laborkos- ten rechtskonform summarisch zusammengefasst. O-Ton des Autors: „Intransparent“. 5. Die Stiftung Warentest führte in den Jahren 2011 und 2015 eine Feldstudie zur Qualität von professionellen Zahnreinigungen durch. Kohorte: 15 Praxisbesuche. Ergebnisse laut Autor: Bei min- destens 8 Patienten („in den meisten Fällen“) wurden bei einer Nachuntersuchung noch Zahnbeläge gefunden, am häu- figsten in den Approximalräumen. Das Volumen der Restbeläge ent- sprach ca. 50% des Ausgangs- volumens. 6. Es gibt nur wenige, meist ältere Quellen von der zitierten Qualität. O-Ton: „Es ist ermüdend, immer wieder auf die gleichen Quellen zu verweisen.“ 7. Es gibt weitere Studien von Interessen-abhängigen Auftrag- gebern (ErgoDirekt, Verbraucher- zentrale). Kohorte: 23 bzw. 1 Patient, 114 bzw. 30 Zahn- ärzte. Zusätzliches, offensichtlich überraschendes Ergebnis: Der Therapieplan war nicht nur auf den Befund, sondern auch auf die Erwartungshaltung und die Finanzierungsmöglichkeiten des jeweils mehrheitlichen Patientenklientels abgestimmt. O-Ton des Autors: „Überbehand- lung und Übertherapie“, „Miss- stand“. 8. Es gibt gut und weniger gut dokumentierte Behandlungsfälle, bei denen das Unterlassen jeder Therapie nicht zu den befürchte- ten Folgeschäden führte (eine 59-jährige Hausfrau und „ich“). Es gibt auch unbenannte Fakten: 1. Gemäß Statistischem Jahr- buch der Bundeszahnärztekam- mer 2016/2017, S. 106, beträgt der durchschnittliche rechnerische Sollumsatz je Behandlungsstunde ca. 260 Euro, also 4,33 Euro pro Minute. Dies ist nicht Ausdruck von Gier, sondern von betriebs- wirtschaftlichen Basisberechnun- gen. 2. Nur 50% aller Praxen genügt der Sollumsatz, die anderen be- nötigen mehr. Dies ist nicht Aus- druck von Unwirtschaftlichkeit, sondern entspricht der Definition des Wortes „Durchschnitt“, ge- nauer dem „Median“. 3. Wer dauerhaft die notwen- digen Honorare unterschreitet, fällt aus der Statistik. Dies ist nicht die Folge von „schlecht“, sondern von „unwirtschaftlich“, im Volksmund „pleite“. 4. Das zahnärztliche Honorar für eine Befunderhebung, Aufklärung und Dokumentation beträgt ca. 15 Euro, mit PSI ca. 23,30 Euro. Das entspricht ca. 5,5 Minuten, inklusive Händedesinfektion vor und nach der Behandlung, Be- grüßung und Verabschiedung. Dies ist nicht nur scheinbar un- möglich, sondern auch tatsächlich. (Quelle: DZW 16.6.2017, Dr. Rai- ner-Udo Steck zur „Musterpraxis“) 5. Selbst dieses Honorar ist nicht sicher, sondern wird durch De- gression, Regresse, Unwirtschaft- lichkeitsunterstellungen u.v.m. der GKV in unkalkulierbarem Ausmaß weiter reduziert. 6. Dies gilt in gleichem Maße für sämtliche weiteren Leistungen der GKV. 7. „Gute oder sehr gute“ Leistun- gen sind vom Leistungsspektrum der GKV explizit ausgenommen, der Leistungsanspruch des GKV- Patienten ist auf „ausreichend, notwendig, zweckmäßig und das Maß des Wirtschaftlichen nicht überschreitende“ Maß- nahmen beschränkt (SGB V). 8. Ich kenne keinerlei Fortbildun- gen, Referenten, Handbücher, Ausbildungen, Leitlinien etc., die darlegen, wie irgendeine zahn- ärztliche Maßnahme „ausreichend“ und rechtskonform auf der Basis der betriebswirtschaftlichen Kern- daten (s. Punkte 1–6) sicher er- bracht werden kann. Referenten, auf diesen Aspekt angesprochen, reagieren regelmäßig unwirsch und ausweichend. Meine Suche nach Assistenzzahnärzten, die „ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig“ behandeln können, fand keine Bewerber. 9. Der größte Kostenfaktor in der GKV, der in keinemMaße kosten- mäßig beschnitten wird, ist auch der einzige, der zuverlässig kei- nen Menschen gesünder macht, sondern häufig das Gegenteil be- wirkt: Die Verwaltung der GKV. 10. Diese Liste könnte umfäng- lich weitergeführt werden, nur würde das den Umfang dieser Zeitschrift übersteigen… Weiterhin gibt es Fakten, die ich aus eigener Praxis berichten kann, deren Fallzahlen die Summe aller zitierten Studien zusammenge- nommen um den Faktor 100 überschreiten: 1. 95% aller Zahnschäden (ge- schätzt), die ich in meiner Praxis zu sehen bekomme, sind nicht Folge zahnärztlicher Über- oder Fehlbehandlung, sondern die Folge von zu später oder unter- lassener Behandlung. 2. Die entsprechende Therapie-, genauer Therapieunterlassungs- entscheidung ist selten vom Zahnarzt, sondern regelmäßig vom Patienten getroffen worden. Der vorliegende Stern-Artikel ist gut geeignet, diesen Anteil wei- ter zu erhöhen. Quelle: zm-Archiv
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