Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09

zm 108, Nr. 9, 1.5.2018, (930) Gibt es eine juvenile Form der aggressiven Parodontitis? Prof. Dr. Arne Schäfer: Bei Jugendlichen kann in sehr seltenen Fällen eine Parodontitis mit fortgeschrittenem Attachmentverlust auftreten. Bei diesen jugendlichen Patienten ist der Krankheitsverlauf rasch progressiv und kann auch schon frühzeitig Zahnverlust bedeuten. Was sind die Ursachen für die Entstehung? Die Ursachen sind bislang unbekannt. Man liest häufig, dass beispielsweise sogenannte pathogene Mikroorganismen oder eine mangelnde Mundhygiene ursächlich für diese Krankheitsform seien. Parodontitis ist aber keine Infektionskrankheit, und die vor- geblich pathogenen Bakterien finden sich auch bei einer sehr großen Zahl gesunder Menschen in diesem Alter. Ebenfalls kann ungenügende Mundhygiene diese frühe und rasch verlaufende Krankheit nicht hin- reichend erklären. Auslöser für die juvenile Form der aggressiven Parodontitis können verschiedene, häufig auch unerwartete Fak- toren sein, beispielsweise eine kieferortho- pädische Behandlung. Aber die tieferliegende Ursache ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine individuelle genetische Prädisposition. Medizinisch hat die Identifikation der zu- grundeliegenden Risikovarianten also eine sehr hohe Relevanz. Was unterscheidet die juvenile Paro- dontitis von allen anderen Formen? Bei sehr früh auftretenden Krankheitsbildern haben Umweltfaktoren wie zum Beispiel Rauchen sehr wahrscheinlich nur einen geringen ursächlichen Beitrag. Dies unter- scheidet sie von den häufigeren und in der Regel eher spät auftretenden Krankheits- manifestationen, bei denen jahrzehntelanges Rauchen und eine mit dem Alter abneh- mende Abwehrkraft des Immunsystems eine wichtige Rolle spielen. Im Gegensatz dazu haben Jugendliche beim Einsetzen der Pubertät in der Regel noch nicht jahrelang geraucht und ein sehr robustes Immun- system. Auch sind Mundhygiene und sonstige Lebensgewohnheiten bei Patienten mit einer juvenilen aggressiven Parodontitis in der Regel nicht anders als bei ihren gesunden Altersgenossen. Das sehr frühe Auftreten und die Abwesenheit von langjährigen negativen Umwelteinflüssen weist auf kausale genetische Faktoren mit sehr hohen Effektstärken hin. In einzelnen seltenen Fällen können aber auch andere systemische Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes mellitus Typ I das frühe Krankheitsbild der Parodontitis negativ mitbeeinflussen. Es gibt bereits genetische Tests, mit denen Patienten das Vorhandensein krankheitsrelevanter genetischer Va- rianten prüfen und ihre individuelle Entzündungsneigung bestimmen kön- nen. Lassen sich diese Tests auch für die früh auftretenden Formen der Parodontitis verwenden? Als Patient und als Zahnarzt sollte man an- nehmen, dass die von den Labors verwen- deten Tests hinreichend gut sind und deren Ergebnisse sinnvoll zu einer Diagnose bei- tragen. Allerdings müssen diese sogenann- ten In-vitro-Diagnostika nicht auf ihre Vor- hersagegenauigkeit geprüft sein, wenn die Diagnose nicht lebensbedrohlich ist, eine falsche Diagnose für den Patienten also risikoarm bleibt. In der Regel reicht es für die Marktzulassung aus, dass die analytische Sensitivität geprüft wurde, nicht aber die diagnostische Sensitivität. Das heißt, der Test muss lediglich die genetische Variante exakt bestimmen können. Wenn diese Variante allerdings nichts mit der Krankheit zu tun hat, ist der Test für den Patienten wertlos. Mir ist derzeit kein Test bekannt, bei dem die getesteten Varianten etwas über das persönliche Risiko der Parodontitis aus- sagen könnten. Bei den Varianten, die in mir bekannten kommerziellen Tests zum Risiko der Parodontitis derzeit untersucht werden, handelt es sich um in der Bevölkerung natür- lich vorkommende genetische Variationen, die irgendwann einmal in Verbindung mit Parodontitis gebracht wurden. In großen Stichproben konnten die Effekte der in kommerziellen Tests untersuchten Varianten aber bislang nicht validiert werden. Heißt das, man kennt gar keine genetischen Risikovarianten der Parodontitis? Doch, in der jüngeren Vergangenheit konnten wir in sehr umfangreichen Stich- ? ? ? ? ? Prof. Dr. Arne Schäfer zu frühen aggressiven Formen der Parodontitis „Wir können die Ursachen jugendlicher Parodontitis aufklären!“ Die frühe aggressive Parodontitis hat viele noch unbekannte Ursachen. Prof. Dr. Arne Schäfer aus der Abteilung für Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin der Berliner Charité erforscht die genetischen Mechanismen der Erkrankung und stellt dar, dass die Zeit günstig ist, die Ursachen zu identifizieren. Prof. Dr. Arne Schäfer leitet die Arbeitsgruppe Molekulargenetik oraler Entzündungskrank- heiten an der Berliner Charité. Er beschäftigt sich speziell mit der Frage nach den bio- chemischen Ursachen der Parodontitis. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Klärung genetischer Mechanismen früh einsetzender Formen der Erkrankung. Foto: Abt. für Parodontologie – Charité 34 Zahnmedizin

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