Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10
zm 108, Nr. 10, 16.5.2018, (1050) Praktiken, sondern auf eine Verbesserung der Qualität von retrospektiven klinischen Studien: „Aus heutiger Sicht ist die drän- gendste klinische Frage das Erkennen und, im Rahmen des Möglichen, Eliminieren di- verser systematischer Fehler im Gepäck der durchschnittlichen retrospektiven Studie“ [Johnston, 2002]. Ein Vergleich zwischen RCTs, Querschnitt-, Kohorten- und Fallkontrollstudien macht deutlich, dass die drei letzteren Beobach- tungsstudien in puncto äußere Validität potenziell besser abschneiden als die RCTs. Anders formuliert lassen sich die gewonnenen Daten besser auf die Allgemeinbevölkerung übertragen, was natürlich wünschenswert ist. Andererseits haben sie den Nachteil einer schlechteren inneren Validität, da es sehr viel schwieriger ist, systematische Fehler und konfundierende Faktoren diverser Art zu beseitigen oder einzudämmen [Carlson/ Morrison, 2009]. Wie also können wir retrospektive Studien verbessern? Statt Millionen von Euro aus- schließlich für RCTs auszugeben, könnten wir alternativ oder ergänzend in eine Art internationales KFO-Register investieren, wo kieferorthopädische Fälle von Dysgnathien mit eindeutig definierten Merkmalen ver- pflichtend einzutragen wären. Natürlich sind auch solche Registerstudien nicht frei von systematischen Fehlern, sie bieten jedoch als Primärquelle für populationsbasierte Fall- kontrollstudien eine Reihe von Vorteilen [Carlson/Morrison, 2009]: große Stichproben systematisch gesammelte Daten eine wesentlich raschere Durchführung von Studien relativ geringe Kosten Studien zu seltenen Effekten und Erkran- kungen informierte Einwilligung nicht mehr er- forderlich eine wesentlich einfachere Auswertung von Langzeiteffekten Resümierend lässt sich also festhalten, dass „individuelle wie kollektive Experimente, Beobachtungen und Berechnungen jeweils maßgeblich zur Evidenzbasis für eine mo- derne Therapeutik beitragen. Kontroversen zur relativen Bedeutung der einzelnen Stu- dienkonzepte lenken nur unnötig ab. An die Stelle von Evidenzhierarchien sollte die Akzeptanz – ja das bereitwillige Aufgreifen – einer Vielfalt von Ansätzen treten“ [Rawlins, 2008]. Mit einer solchen Entwicklung ver- bunden wäre dann auch die Hoffnung auf ein Ende der nun schon viel zu lange geführten, ideologisch aufgeladenen Debatten über das Für und Wider evidenz- basierter Glaubensgegenstände. Mit den zweifellos vorhandenen Verdiensten der EbM, aber ohne den Bias des messianischen Eifers, wird die Wissenschaft besser voran- kommen. Prof. Dr. Sabine Ruf Direktorin der Poliklinik für Kieferorthopädie Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Justus-Liebig-Universität Gießen Schlangenzahl 14 35392 Gießen Leicht gekürzter Nachdruck aus ZAHNMEDIZIN UND GESELLSCHAFT, Heft 2017–1, Hrsg. von der Interessen- gemeinschaft Zahnärztlicher Verbände in Deutschland e.V. (IGZ) Originalartikel frei zugänglich unter www.i-g-z.de Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Orthodontische RCTs pro Jahr zwischen 1990 und 2013 Prozent 1990 0 20 40 60 80 100 1992 1996 1994 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2013 Abbildung 2: Kieferorthopädische RCTs pro Jahr zwischen 1990 und 2013 Quelle: Ruf Foto: privat 26 Politik
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