Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10
zm 108, Nr. 10, 16.5.2018, (1030) Prof . Dr. Diet mar Oesterre ich Vizepräsident der BZÄK Foto: BZÄK-Axentis ” Wan n wird endli ch b egriffen, dass ZahnMediz in mehr is t al s das Addi er en von Leistungen? Nach dem Barmer-Zahnreport 2018* erreichten uns zahlreiche Rückmeldungen – verständlicherweise. Vordergründig wollte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Prof. Christoph Straub, den Zahnärzten keine Mitnahmeeffekte bei der aufsuchenden Be- treuung in Alten- und Pflegeeinrichtungen unterstellen – so sagte er. Dennoch steht der Vorwurf damit latent im Raum – und wurde von Journalisten aufgenommen. Um diese Anschuldigung ins Gegenteil zu kehren, hilft ein Blick in die Historie. Bereits zu Beginn der 90er- Jahre, nach der Einführung der Prophylaxe- leistungen, wurde bald sichtbar, dass vulnerable Bevölkerungsgruppen daran nicht partizipierten. Engagierte Zahnärztinnen und Zahnärzte versuchten, dieses Defizit durch ehrenam- liches Engagement zu beheben. Sie bildeten Ausschüsse für Alters- und Behinderten- zahnmedizin in den Kammern. Sie halfen, die Praxen auf die Herausforderungen des demografischen Wandels auszurichten. Dies gipfelte in der Präsentation des Leitfadens „Präventionsorientierte Zahnmedizin unter den besonderen Aspekten des Alterns“ auf der BZÄK-Bundesversammlung 2006. Der damalige Vorsitzende der Altenberichts- kommission der Bundesregierung, Prof. Andreas Kruse, lobte die hervorragende Aufstellung des Berufsstands im Hinblick auf die demografischen Veränderungs- prozesse in unserer Gesellschaft. Die Wissenschaft reagierte ihrerseits mit der Gründung einer Fachgesellschaft für Alters- zahnmedizin – und später der Fachgesell- schaft für Behindertenzahnmedizin. Mit dieser Expertise und mit zahlreichen Erkenntnissen aus der Pflegewissenschaft, flankiert durch Best-Practice-Modelle, entwickelten BZÄK und KZBV dann 2010 das Reformkonzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ – das AuB- Konzept. Damit begann die „Ochsentour“ durch die gesundheitspolitischen Gremien. Es war nicht leicht, aber unsere Argumente überzeugten, die Vorschläge erschienen praktikabel. 2013 und 2014 wurden erste gesetzliche Verbesserungen der Rahmen- bedingungen zur Versorgung dieser Patientengruppe erreicht. Wir sind dennoch nicht müde, die weiteren Schwachstellen aufzuzeigen und Vorschläge zur Behebung zu unterbreiten. Parallel bieten wir als BZÄK pragmatische Handreichungen für die betreuenden Zahnärzte, für Pflege- berufe und Angehörige: Pflegekalender, YouTube-Filme, Broschüren, Flyer, Fortbil- dungsangebote etc. Wenn man in einer nicht repräsentativen Studie nun feststellt, dass sich innerhalb dieser kurzen Zeit in den Abrechnungs- daten noch nicht so viel geändert hat, so darf man durchaus fragen: Warum nicht? Aber genau hier endet die Studie. Sollten wir nicht inzwischen wissen, dass Präventions- und Therapieziele bei einer solch vulnerablen Bevölkerungsgruppe zahlreichen Faktoren unterliegen? Die DMS-V-Studie gibt bereits Antworten: Bei der Gruppe der Pflegebedürftigen zeigt sich, dass fast 70 Prozent stark reduziert oder nicht belastbar sind. Therapiefähigkeit, Mundhygienefähigkeit und Eigenständigkeit sind also so gut wie nicht mehr vorhanden. Ferner stellen sich immer auch Fragen wie: Sind bei den Komplikationsmöglichkeiten und den hygienischen Voraussetzungen Chairside-Eingriffe überhaupt zu verant- worten? Gibt es nicht erhebliche ethische Konfliktlagen für den Zahnarzt mit Blick auf die Patientenpräferenzen? Nicht zuletzt: Sind die Rahmenbedingungen für Transporte und die Versorgung unter stationären Bedingungen ausreichend? Antworten darauf wird man jedenfalls nicht in einer quantitativen Analyse finden. Wann wird endlich begriffen, dass Zahn Medizin mehr ist als das Addieren von Leistungen? Bereits jetzt wird von den Krankenkassenvertretern ein dickes Frage- zeichen gesetzt, ob die Veränderungen mit dem § 22a SGB V zukünftig überhaupt Verbesserungseffekte bringen. Offensicht- lich wird hier nicht wahrgenommen, wo- rauf es bei diesen Patienten ankommt. Wir Zahnärztinnen und Zahnärzte erleben das aber täglich in der Praxis. Und setzen auch auf die Kooperation mit den Pflegeberufen. Wir wissen, welche Widerstände existieren – und welche Rahmenbedingungen fehlen. Dies zu untersuchen wäre einmal ein echter Beitrag zur Versorgungsforschung – und damit zur Verbesserung der Mund- gesundheit und Lebensqualität der Pflege- bedürftigen gewesen. Aber vielleicht ging es ja gar nicht darum. Mitnahmeeffekte? Der Vorwurf trifft die Falschen! * In ihrem Zahnreport 2018 hält die Barmer den Zahnärzten vor , sie hätten ihr Ziel, d ie zahnme diz inische Versorgung von Pflegeheimbewohnern zu verbessern, verfehlt. 6 Leitartikel
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