Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 108, Nr. 11, 1.6.2018, (1218) Peer W. Kämmerer, Bilal Al-Nawas & Leitliniengruppe Diese Leitlinie bildet den Wissensstand zur zahnärztlich-chirurgischen Behand- lung von Patienten unter oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggregations- hemmung ab. Sie hat den Zweck, den konkreten prä-, peri- und postoperativen Umgang mit betroffenen Patienten evidenzbasiert zu beschreiben, mit dem Ziel, unerwünschte Blutungsereignisse zu vermeiden und die Komplikationsraten zu verringern. Foto: James Steidl - Fotolia.com Atuelle S3-Leitlinie Zahnärztliche Chirurgie unter oraler Thrombozytenaggregationshemmung 1. Priorisierungsgründe Im Bereich der zahnärztlichen Chirurgie können insbesondere post- operative Nachblutungen ein ernst zunehmendes Problem darstellen. Bei Patienten unter oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggrega- tionshemmung besteht eine weitgehende Unsicherheit bezüglich der Vorbereitung, der Durchführung sowie der Nachsorge im Rah- men zahnärztlich-chirurgischer Eingriffe. Die Einführung neuerer oraler Antikoagulantien und Thrombozytenaggregationshemmer impliziert weitere potenzielle Schwierigkeiten bei der zahnärztlich- chirurgischen Behandlung. Ein Absetzen, eine Veränderung oder eine Reduktion der Antikoagulation erhöht das möglicherweise fatale Risiko thrombembolischer Ereignisse, andererseits sind letale Blutungsereignisse nach zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen unter oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung eben- so möglich, bisher in der Literatur jedoch nicht dokumentiert. Somit ist der Zahnarzt herausgefordert, die Patienten zum einen vor thrombembolischen Komplikationen zu schützen und zum anderen bedrohliche Blutungen zu vermeiden [1]. Generell gilt es, a priori sowohl bei den oralen Antikoagulantien als auch bei den Thrombo- zytenaggregationsinhibitoren gemeinsam mit dem Hausarzt oder behandelnden Kardiologen zu hinterfragen, ob diese Therapie noch notwendig ist [2]. Besteht demnach, zum Beispiel bei niedrigem Thromboserisiko, keine Indikation mehr, sollten die Medikamente abgesetzt werden. Falls weiterhin Indikationen für ein Beibehalten der oralen Antikoagulation/- Thrombozytenaggregationshemmung bestehen, soll diese Leitlinie Empfehlungen für den Umgang mit Patienten unter oraler Antiko- agulation/Thrombozytenaggregationshemmung, die zahnärztlich- chirurgische Eingriffe benötigen, erarbeiten und darstellen. Bei der Indikationsstellung und Planung von oralchirurgischen Eingriffen an Patienten mit medikationsbedingten Blutungsneigungen sollte neben dem Ausmaß der Antikoagulation beziehungsweise Throm- bozytenaggregationshemmung auch die operationsimmanente Blutungsgefährdung beachtet werden. Ferner dürfte das Nachblu- tungsrisiko einerseits von der Wundversorgung, andererseits von der perioperativen Compliance also der Therapieadhärenz des Patienten bestimmt sein. Nicht zuletzt entscheiden neben den genannten Kriterien die Schwere der Allgemeinerkrankung und schließlich die Lebensumstände des Patienten über die Behandlungsstrategie bis hin zu einem stationären Regime [3]. Diese letzteren, höchst individuellen Aspekte der Patientenbehandlung können in den Emp- fehlungen dieser Leitlinie allerdings nur angerissen werden. Weiterhin ist hervorzuheben, dass diese Leitlinie bei Patienten mit kongenitalen und/oder erworbenen hämorrhagischen Diathesen keine Anwendung findet. 2. Hintergrund 2.1 Prävalenz und Indikation oraler Antikoagulation/Thrombozy- tenaggregationshemmung In Deutschland nehmen derzeit geschätzt etwa eine Million Menschen, also mehr als ein Prozent der Bevölkerung, Substanzen zur oralen Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung ein [4]. Bei den meisten wird die Medikation langfristig rezeptiert. Indikationen für eine Antikoagulation bestehen prophylaktisch beispielsweise zur Vermeidung von thrombembolischen Ereignissen prä-, intra- und postoperativ, bei Eingriffen am Herzen (Herzkathetereingriffe, Herz- Lungen-Maschine) sowie zur Dialyse. Weitere Indikationen zur Antikoagulation bestehen beim Vorhofflimmern und -flattern, nach Implantation mechanischer künstlicher Herzklappen, bei fortge- schrittener Arteriosklerose, bei peripheren arteriellen Verschluss- krankheiten, koronaren Herzkrankheiten, nach bereits stattgehabter tiefen Beinvenenthrombose, bei Aneurysmen aber auch bei untypischer Hämostase oder angeborenen Gerinnungsstörungen wie der APC- Resistenz (Tabelle 1). Thrombozytenaggregationshemmer werden vor allem zur sekundären Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlag- anfällen eingesetzt, da sich ihre Wirkung vor allem auf den arteriellen Teil des Gefäßsystems erstreckt. Ihre Indikationen werden in Tabelle 2 dargestellt. 74 Leitlinie Antikoagulantien
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