Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 108, Nr. 11, 1.6.2018, (1222) 4. Präoperativer Umgang in der zahn- ärztlichen Chirurgie unter Antikoagulation 4.1 Phenprocoumon, Warfarin Anhand eines aktuellen systematischen Reviews [1] konnte gezeigt werden, dass zahnärztlich-chirurgische Eingriffe unter fortlaufender Therapie mit Phenprocoumon oder Warfarin im therapeutischen Bereich (Tabelle 3) möglich sind. Allerdings ist, selbst unter Beibehal- tung strikter Kautelen (INR < 4, Benutzung hämostatischer Maßnah- men [s.u.]) mit vermehrten, stillbaren Nachblutungen zu rechnen [1, 12, 13]. Somit beinhaltet das Gesamtrisiko des perioperativen Management des antikoagulierten Patienten zum einen kardiovas- kuläre Risiken und zum anderen das Risiko lokaler Blutungen, die in ihrer Schwere allerdings meistens gut beherrschbar sind. 4.2 Dabigatran Bei Notfalleingriffen ist das Medikament dialysierbar [9]; schwere Blutungskomplikationen unter NOAKs stellen ein ernstes Problem dar und erfordern eine ausgesprochene Expertise im Bereich der Hämostaseologie. Zur Behandlung kann unter entsprechender Über- wachung bei allen drei NOAKs die Gabe von Prothrombinkonzentraten (PPSB) oder rekombinantem Faktor VIIa erfolgen [9, 15 bis 17]. Da bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion unter Medikation unter NOAKs letale Blutungen auftreten können, sollte vor allem vor klinischen Situationen, in denen es zu einer Abnahme der Nieren- funktion kommen könnte, die Nierenfunktion durch den Hausarzt überprüft werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion kann ein früheres präoperatives Absetzen sinnvoll sein. Aufgrund der Daten aus der Allgemeinchirurgie wird vor Eingriffen mit Blutungsrisiken ein Absetzen von Dabigatran bei einer Kreatinin-Clearance von > 50 ml/min zwei bis drei Tage präoperativ empfohlen. Bei einer Kreatinin-Clearance von 30 bis 50 ml/min erhöht sich die Karenzzeit auf 4 Tage. Bei allen NOAKs gilt, dass sie nach Eingriffen bei kom- pletter Hämostase nach dem Eingriff wieder angesetzt werden sollten; der maximale antikoagulative Effekt tritt zwei Stunden nach Einnahme auf [18]. Die unten beschriebene Evidenz bezieht sich auf die Insertion zahnärztlicher Implantate (siehe Evidenztabellen) und wurde von der Leitliniengruppe auf einfache zahnärztlich-chirurgische Eingriffe im komprimierbaren Bereich ausgeweitet. Anhaltswerte der therapeutischen INR-Bereiche (aus [14]) Indikation postoperative Prophylaxe tiefer venöser Thrombosen längere Immobilisation nach Hüftchirurgie und Operationen von Femurfrakturen Therapie tiefer Venenthrombosen, Lungenembolien und transitorischer ischämischer Attacken rezidivierende tiefe Venenthrombosen, Lungenembolien Myokardinfarkt, wenn ein erhöhtes Risiko für thrombembolische Ereignisse gegeben ist Vorhofflimmern Herzklappenersatz, biologisch Herzklappenersatz, mechanisch Tabelle 3 INR-Bereich 2-3 2-3 2-3 2-3 2-3 2-3 2-3 2-3, 5 Phenprocoumon, Warfarin 1 Bei typischen, zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen im kompri- mierbaren Bereich soll die Therapie mit Cumarinen weitergeführt werden. Empfehlungsgrad: A Level of Evidence 3 (LoE3) Starker Konsens: 10/10 Sondervotum der DGMKG: Die DGMKG teilt die Auffassung der Leitlinienautoren nicht. Eine konkrete Risikoanalyse zu den Alternativen des Weiterführens gegenüber dem Absetzen von Cumarinen ergab ein nahezu gleiches Gesamtrisiko unter Einschluss aller Risiken und unter Berücksichtigung der Schwere und Folgen der verschiedenen Risiken [Balevi, 2010], mit einem geringen Vorteil der Strategie des Absetzen. Da auch die von Seiten der Leitlinienautoren eingeschlossenen Stu- dien ausdrücklich keine Überlegenheit der Weiterführung einer Therapie mit Cumarinen gezeigt haben und daher insgesamt min- destens von einer Gleichwertigkeit der Risiken auszugehen ist, kann eine einseitige, strenge Empfehlung zugunsten des „Fortführens“ der Therapie mit Cumarinen nicht ausgesprochen werden. Die Empfehlung der DGMKG lautet daher: Bei typischen, zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen im kom- primierbaren Bereich kann die Therapie mit Cumarinen auch weitergeführt werden. Empfehlungsgrad: A Level of Evidence 3 (LoE3) Phenprocoumon, Warfarin 2 Bei zahnärztlichen Eingriffen mit höherem Blutungsrisiko unter laufender Cumarintherapie sollte eine Behandlung durch Spezia- listen/Fachkliniken, auch unter stationären Kautelen, erwogen werden. Empfehlungsgrad: B Level of Evidence 4 (LoE4) Starker Konsens: 10/10 78 Leitlinie Antikoagulantien
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