Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 108, Nr. 12, 16.6.2018, (1326) „Bei den kieferorthopädischen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen gibt es zahlreiche Missstände“, lautet das Ergebnis der im Auftrag der hkk erstellten Studie „Kieferorthopädische Versor- gung von Kindern und Jugendlichen im Spiegel von Routinedaten (2012–2017)“ unter der Leitung von Dr. Bernard Braun vom Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung (BIAG) und Dr. Alexander Spassov, Fachzahnarzt für Kieferorthopädie. Demnach würden „zahlreiche diagnostische Untersuchungen und therapeu- tische Maßnahmen ohne Notwendigkeit routinemäßig erbracht“. Außerdem würden „fast alle Versicherten, unabhängig vom Alter und ohne Prüfung der kieferorthopädischen Erfordernis, mit Röntgen- strahlen untersucht“. Dies, betont Braun, sei jedoch ein klarer Ver- stoß gegen nationale und internationale Röntgenverordnungen zum Schutz der Gesundheit junger Menschen. Auch die Behandlungsdauer sei mit bis zu drei Jahren „zu lang und in den meisten Fällen nicht mit einem gesundheitlichen Bedarf begründbar“. Gründe für die „unnötige Ausdehnung der Behand- lungszeit“ sieht Braun vielmehr in der „formalen Vergütungsdauer von zwölf Quartalen“ und in der „Aneinanderreihung der Behand- lung mit losen und festen Spangen“. Zwei Drittel der Versicherten er- halten laut hkk-Studie vor einer festen Spange eine herausnehmbare Apparatur. „In den meisten Fällen wäre jedoch die ausschließliche Behandlung mit einer festsitzenden Apparatur zweckmäßig und wirtschaftlich“, ergänzt Spassov. „Eine feste Spange kommt zudem dem Wunsch der meisten Kinder und Jugendlichen nach einer möglichst kurzen Behandlung entgegen. Außerdem wirkt sie sich positiv auf Lebensqualität und Behandlungstreue aus.“ Ziel sollte daher eine Behandlungsdauer von maximal 24 Monaten sein. In der Summe: Zu wenig Wirkung, zu viel Röntgen, zu lange und damit zu teuer – das sind die Haupt- kritikpunkte, die Braun und Spassov in der hkk- Studie herausstellen. Methodik der Studie: Die Untersuchung basiert zum einen auf einem Datensatz von 3.222 hkk- Mitgliedern, denen die Krankenkasse – oder bei einem Wechsel die vorherige gesetzliche Kranken- versicherung – auf Basis der KIG-Einstufungen 2016 eine KFO-Behandlung genehmigt hat und die seit- dem in Behandlung sind. Auf diese 3.222 Versicher- ten kamen 19.404 Behandlungen, dabei entfielen 9.300 (47,9 Pro- zent) auf Regelbehandlungen, 7.261 (37,4 Prozent) auf Diagnose- leistungen und 2.666 (13,7 Prozent) auf die Frühbehandlung. Kritik der Studienautoren: Keine Evidenz Ein zweiter zugrunde gelegter Datensatz umfasst in den Jahren 2012 bis 2017 kieferorthopädisch behandelte, die gesamte Zeit in der hkk versicherte Personen (5.535 Kinder und Jugendliche), die in diesem Zeitraum entweder die Behandlung abgeschlossen haben oder noch behandelt werden. „Die Konzentration auf diese Gruppe gewährleis- tet, dass alle erbrachten und bei der hkk abgerechneten Leistungen untersucht werden können und ein vollständiges Bild der Art und Menge von Leistungen für die gesamte Behandlungsdauer erstellt werden kann“, heißt es im Methodenpapier der Studie. Für diese Patienten gibt es allerdings keine detaillierten Angaben zur KIG- Einstufung und damit zum spezifischen Behandlungsbedarf – hier liegen lediglich die diagnostischen und therapeutischen Be- handlungsmaßnahmen und die dadurch angefallenen Behandlungs- kosten vor. Was wurde untersucht? Der Report konzentriert sich auf patienten- oder patientengruppenbezogene Aussagen zu folgenden Aspekten der zahnärztlich-kieferorthopädischen Behandlung: Debatte um KFO-Behandlungen geht weiter Der Vorwurf: zu viel Röntgen, zu teuer, zu wenig Wirkung Die Debatte um Evidenz in der Kieferorthopädie geht in die nächste Runde: Nachdem zunächst der Bundesrechnungshof „keinen nachgewiesenen Nutzen“ der kieferorthopädischen Versorgung erkennen konnte, stellt nun die Handels- krankenkasse (hkk) in einer Studie „zahlreiche Missstände“ bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen fest. Das Bundesgesundheitsministerium legt derweil eine 180-Grad-Wende hin. In einem Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn widersprechen die Kieferorthopäden der Kritik des Bundesrechnungshofs. Foto: proDente e.V. 14 Politik
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