Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 108, Nr. 12, 16.6.2018, (1328) Verletzungen pro Jahr mit entsprechenden Folgekosten verantwort- lich sind. Ebenso belegen Untersuchungen, dass sich die Wahrschein- lichkeit eines Frontzahntraumas bei dieser Form der Fehlstellung ver- doppelt.“ Laut Braun und Spassov bedarf es dagegen „eines ganzen Maßnahmen- katalogs“, um „diese Entwicklung korrigieren zu können“. Sie plädieren dafür, dass Behandlungsbedarf und Indikationsstellung „zuverlässiger erfasst und ausgewertet werden“. Und im Anschluss müssten zudem Wirksamkeit und Nutzen der Behandlung objektiv bewertet werden. „Als Basis dafür muss das Behandlungsergebnis analog zum Behand- lungsbedarf objektiviert werden“, fordern die Autoren. Ein geeignetes Instrument sei beispielsweise der PAR-Index. Und das empfehlen die Studienautoren: Eine weitere Empfehlung lautet, die Anzahl der Frühbehandlungen auf maximal zwei bis vier Prozent zu senken, da diese generell weniger wirksam seien als alleinige Behandlungen im bleibenden Gebiss. „Werte oberhalb von 2 bis 4 Prozent bedeuten höchstwahrscheinlich unnötige Frühbehandlungen und damit Überversorgung“, meinen Braun und Spassov. Auch müsse in Zukunft zuverlässig erfasst werden, wie viele Patienten mit Frühbehandlung direkt im Anschluss eine Regelbehandlung erhalten. Ebenso sollten Behandlungsabbrüche durch die Vergabe einer Gebührennummer nachvollziehbar erfasst werden – und einen Anteil von fünf bis zehn Prozent nicht überschreiten, denn diese seien in den meisten Fällen vermeidbar, „weil sie bei- spielsweise auf mangelnder Aufklärung [...] beruhen“. Aufgrund der hohen Zahlen an Abbrüchen sollten daher obligatorisch deren Ur- sachen geprüft und Gegenmaßnahmen getroffen werden. Des Weiteren sollte die Behandlungsdauer von bis zu 36 Monaten auf maximal 24 Monate begrenzt werden. Zudem seien die Qualität der Beratung und die Aufklärung der Patienten zu verbessern – bei- spielsweise durch die obligatorische Aushändigung eines verständ- lich verfassten Behandlungsplans an die Patienten beziehungsweise Eltern. „Durch dessen Aushändigung vor Behandlungsbeginn könnte mehr Transparenz für die Eltern [...] entstehen“, glauben die Autoren. Außerdem sollten einheitliche Grundinformationen zur kieferortho- pädischen Behandlung verwendet werden, deren Inhalte sich am Patientenrechtegesetz und an den internationalen Standards für Patienteninformationen und Entscheidungshilfen orientieren. „Ge- nutzt werden könnte das Methodenpapier von KZBV und BZÄK für die Anforderungen an Gesundheitsinformationen“, regen die Autoren an. Braun und Spassov plädieren außerdem dafür, die Einzelleistungs- vergütung durch ein System objektiv gemessener Diagnosen (KIG- Einstufungen) und objektiver Ergebnisindikatoren (PAR-Index) zu er- setzen. Denn: „Die derzeitige Einzelleistungsvergütung kieferortho- pädischer Leistungen in der GKV reizt oft, unabhängig vom gesund- heitlichen Bedarf, zur Mengenexpansion und trägt zu dem hohen Verwaltungsaufwand für Praxen und Krankenkassen bei.“ Unter- stützend sollte die Forschung über die KFO-Versorgung auf- und aus- gebaut werden. nb Wie das Bundesgesundheits- ministerium (BMG) jüngst mitteilte, will es jetzt per Gut- achten zu einer „evidenzorien- tierten Einschätzung“ des Wis- sens über die „langfristigen Auswirkungen der wichtigsten kieferorthopädischen Behand- lungsarten“ kommen. Geplant sind darüber hinaus Regelun- gen, die den Versicherten einen besseren Überblick über Selbst- zahlerleistungen geben sollen. Das teilte das Ministerium auf eine Frage der grünen Abge- ordneten Dr. Kirsten Kappert- Gonther mit. Kappert-Gonther hatte am 11. Mai gefragt: „Welche Schluss- folgerungen zieht die Bundes- regierung aus dem Jahresbericht 2017 des Bundesrechnungs- hofs, demzufolge das Bundes- gesundheitsministerium weder über ausreichende wissenschaft- liche Erkenntnisse über Wir- kung und Nutzen kieferortho- pädischer Behandlungen ver- fügt noch Kenntnis darüber hat, mit welchen kieferortho- pädischen Leistungen Patien- tinnen und Patienten konkret versorgt wurden? Und welche Konsequenzen zieht die Bun- desregierung aus dem Vorwurf, dass das Bundesgesundheits- ministerium Hinweisen auf diese Missstände seit Jahren nicht nachgegangen sei?“ Hintergrund war die scharfe Kritik des Bundesrechnungshofs am BMG: Die Prüfer hatten gerügt, die GKV gebe jährlich 1,1 Milliarden Euro für kiefer- orthopädische Leistungen aus, ohne dass sie über Informatio- nen zur Evidenz verfügt (siehe Artikel). Das BMG hatte in einer ersten Reaktion auf die Kritik des Rechnungshofs behauptet, das System der kieferortho- pädischen Indikationsgruppen (KIG) „gewährleiste eine zu- verlässige und an objektiven Kriterien ausgerichtete Ent- scheidung über die Leistungs- erbringung“. Versorgungs- studien hatte das BMG als un- praktikabel abgetan, da damit „ethische Probleme“ verbunden seien, weil insbesondere Kinder und Jugendliche betroffen sind. Außerdem seien derartige Unter- suchungen „organisatorisch und methodisch problematisch“. In seiner Antwort vom 22. Mai rückt der parlamentarische BMG-Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart nun von dieser Argu- mentation ab: Zuständig für die Bewertung des Nutzens von Behandlungsmethoden sei der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als wichtigstes Ent- scheidungsgremium der Selbst- verwaltung. Der G-BA habe demnach auch Inhalt und Um- fang der kieferorthopädischen Behandlung zu konkretisieren und regelmäßig zu überprüfen. „Allerdings“, heißt es in Geb- harts Schreiben weiter, „ist nach Auffassung der Bundesregierung im Bereich der Kieferorthopädie mehr Transparenz über den Leistungsumfang der GKV als auch über die von den Zahn- ärztinnen und Zahnärzten an- gebotenen Selbstzahlerleis- tungen erforderlich.“ Kappert-Gonther bescheinigte dem BMG daraufhin eine „180-Grad-Wende“. Das Amt scheine im Bereich der kiefer- orthopädischen Versorgungs- forschung „endlich zur Ver- nunft zu kommen“. Die ange- kündigte Vergabe sei „ein längst überfälliger Schritt, dem sich das BMG viel zu lange in den Weg gestellt hat“. ck BMG lässt Nutzen jetzt doch evaluieren G UTACHTENVERGABE 16 Politik
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