Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm 108, Nr. 12, 16.6.2018, (1315) Wenn das mal keine gute Nachricht ist – die elektronischen Patientenakten (ePA) der AOK Nordost und der TK bekommen Zu- wachs von einer weiteren Kassenakte. Denn nun gibt es Vivy – Achtung, jetzt kommt‘s –, die digitale Gesundheitsassistentin! Ca. 25 Millionen Versicherte von gut einem Dut- zend Krankenversicherungen, wohlgemerkt gesetzlichen und (!) privaten Kassen, sollen mit Vivy beglückt werden. Man ist geneigt zu sagen: Endlich! Es geht voran, die Digitalisierung treibt den Stillstand aus dem Gesundheitswesen. Und wie geht das besser als mit wohlfeilem Marketing. Patientenakten heißen erst einmal nicht Patienten-, sondern Gesundheitsakten. Das klingt positiver. Und diese Gesundheitsakten sind alles andere als kalte, empathiefrei ge- führte Datensammlungen. Nein: Gesund- heitsakten sind ein Lifestyle-Produkt mit ge- radezu spiritueller Tiefe. Denn ein mithilfe der Akte geordneteres Leben ist auch ein glücklicheres Leben. Das neue Werkzeug dazu ist eine einfache, kleine App, also in allen Lebenslagen auf dem Smartphone dabei. Das freut den Bundesgesundheitsminister. Auch die eGK ist im Portemonnaie immer dabei, aber die ist ja unsexy … Lassen Sie sich weder von meinem Anflug von Sarkasmus noch der Marketinglyrik „einlullen“. Wir stehen nicht am Beginn einer fundamentalen, von der Digitalisierung getriebenen und zukünftigen Veränderung im Verhältnis zwischen Arzt, Zahnarzt und Patient – wir sind bereits mitten drin! Den entscheidenden Punkt hat Prof. Dr. Siegfried Jedamzik* so formuliert: „Die Gesundheits- wirtschaft steht vor einer der größten Ände- rungen der letzten Jahrzehnte […] Der Bür- ger gewinnt durch digitale Techniken als Verwalter seiner Daten und selbstständiger Beschaffer medizinischen Wissens wesent- lich an Einfluss, während die bisherigen Da- tenhalter an Bedeutung verlieren. Wenn sich das Verhältnis von Behandlern zu Be- handelten derart drastisch ändert, muss und wird dies Auswirkungen auf die Versor- gung […] haben.“ Noch deutlicher wird dies in den Experten- forderungen „Zukunftsplattform Bayern – Digitales Gesundheitswesen 2020“**: ‚Die Gesundheitsdaten gehören uns, den mün- digen Bürgern! Krankenkassen, Heilberufe u. a. dürfen diese Daten ausschließlich nach unserer expliziten Freigabe einsehen und nutzen‘; ‚Zur Bereitstellung der Infrastruktur zur Datenfreigabe (z. B. Patientensafe ) be- darf es öffentlich-rechtlicher Vorgaben, bei der Ausführung müssen mehrere Anbieter konkurrieren!‘; ‚Wir fordern vom Gesetzgeber einen dynamischen, effizienten Datenschutz! Unter höchsten Sicherheitsstandards fordern wir stärkere Pragmatisierung bei der Daten- nutzung, weg vom übertriebenen, unreflek- tierten Datenschutz!‘; ‚Rechtliche Grundlagen für die Implementierung digitaler Anwen- dungen in der Regelversorgung‘; ‚Klare Regelungen zur Zertifizierung von Apps!; ‚ Klar vorstrukturierte Wege und Fristen für die Zugangserleichterung zur Erstattung digitaler Gesundheitsinnovationen in der Regelversorgung zum Wohle des Bürgers! (Förderinitiativen)‘; ‚Zeitgemäße Aus- und Weiterbildungskonzepte, um die Technik- skepsis von Anwendern in den Heilberufen zu überwinden!‘; ‚Zentrale elektronische Gesundheitsakten auf Bundesebene! Ver- pflichtende Einführung für alle Sektoren und hoher Freiheitsgrad bei der Umset- zung! Aber: Die Vernetzung funktioniert so nicht! Wir fordern vernetzbare Insellösun- gen!‘; ‚Wir fordern klare und verbindliche Vorgaben für Standards, Schnittstellen und Kriterienkataloge für eAkten und eKommu- nikation im Gesundheitswesen!‘ Ob wir es wollen oder nicht, eine der wesentlichen Folgen wird sein, dass die Digitalisierung nicht nur das Selbstverständ- nis sowie die Rolle der Patienten, sondern auch der Heilberufler verändern wird. Dies gefühlt umso dramatischer, je näher diese ihr Eigenbild an dem ‚Halbgott in Weiß‘ verorten. Vielleicht wird diese Veränderung in der Zahnmedizin in Bezug auf das Arzt- Patienten-Verhältnis nicht so stark zu spüren sein wie in vielen Fächern der Medizin. Ob es ein Privileg sein wird, werden wir sehen. Jedenfalls wird es meines Erachtens die anlässlich des diesjährigen Deutschen Ärztetageszum Ausdruck gebrachte Hoff- nung „Der Damm ist längst gebrochen, nun müssen wir steuern, wo das Wasser hinfließt“ nicht spielen. Denn gegen die Digitalität werden wir nicht gewinnen, hingegen nur mit ihr gestalten können. Für den Rest haben wir ja die DGSVO … Foto: zm-Axentis.de Die Revolution im Innersten Dr. Uwe Axel Richter Chefredakteur * zitiert nach: Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 109, 2018, Hanns-Seidel-Stiftung, S. 34 ** zitiert nach: Zukunftsplattform Bayern: Digitales Gesundheitswesen 2020 Bei bester Gesundheit? Deutschlands E-Health im Check-up, 2018; Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 109, Hanns-Seidel-Stiftung, S. 17 3 Editorial

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