Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 108, Nr. 12, 16.6.2018, (1368) die höchste Kariesprävalenz, den höchsten Kariesbefall in beiden Dentitionen sowie die höchste Prävalenz odontogener Infektionen – eine Folge der unbehandelten Karies – im Milchgebiss auf. Weiterhin hatten sie ein mehr als zweifach höheres Risiko, an Karies zu erkranken beziehungsweise odontogene Infektionen zu entwickeln als Gleichaltrige mit einer geistigen Behinderung. Der Sanie- rungsgrad von Schülern mit einer geistigen Behinderung war im Vergleich zu Schülern mit psycho-emotionalen Störungen und zu gesunden Altersgefährten unzureichend und signalisiert die Benachteiligung dieser vulnerablen Patientengruppen. Eine RCT-Studie am Universitätsklinikum Jena untersuchte die Mundgesundheit von psychisch kranken 6- bis 17-Jährigen wäh- rend ihres stationären Aufenthalts in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Das Auftreten von Karies und Gingivitis in dieser Studienpopulation wurde mit dem bei gesunden Gleichaltrigen verglichen, wobei jedem psychiatrischen Patienten ein gesun- der Patient gleichen Geschlechts und Alters zugeordnet wurde. Wie aus der Grafik 1 ent- nommen werden kann, waren die Karies- prävalenz und der Kariesbefall bei den psy- chisch kranken Patienten in beiden Dentitio- nen signifikant höher als bei gleichaltrigen Gesunden [Schüler et al., 2017b]. Psychisch kranke Kinder und Jugendliche mit stress- assoziierten Diagnosen wie „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ oder „Akute belastende Lebensereignisse“ waren am stärksten von Karies betroffen (Abbildung 4). Sie wiesen auch den höchs- ten Anteil unbehandelter kariöser Läsionen in beiden Dentitionen auf. Obwohl keine kausale Beziehung bekannt ist, nach der akuter oder chronischer Stress Karies oder Gingivitis hervorruft, beeinflussen Stressoren jedoch indirekt die Mundgesundheit. In Stresssituationen fokussieren Kinder und Jugendliche sowie deren familiäres Umfeld auf den Umgang mit den Stress auslösen- den Problemen, wodurch mitunter triviale Dinge, wie die tägliche Mundhygiene, ver- nachlässigt werden. Die Untersuchung der mundgesundheits- bezogenen Lebensqualität zeigte, dass das Auftreten von Karies und Gingivitis nicht mit stärkeren Beeinträchtigungen der Lebens- qualität korrelierte. Trotz deutlich stärkerem Karies- und Gingivitisbefall klagten die Kinder nicht über funktionale oder psycho-soziale Einschränkungen. Aus dem fehlenden Klagen sollte man je- doch nicht schlussfolgern, dass keine oralen Probleme vorliegen. Fazit: Die Ergebnisse der Jenaer Studie unter- mauern die Resultate früherer Unter- suchungen, die Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen als eine zahnärztliche Risikogruppe auswiesen. Insbesondere signalisiert der hohe An- teil an unversorgten kariösen Läsionen, dass diese Patientengruppe zahnärzt- lich unterversorgt ist. Ursächlich dürfte sowohl der erhöhte Zeitaufwand der zahnärztlichen Behandlung im Ver- gleich zu gesunden Patienten sein [Schmied et al., 2012] als auch die vom Kariesbefall im Milch- und bleibenden Gebiss Prozent KJP KG 0 20 40 60 80 100 85,7 61,2 69,4 22,4 60,5 27,7 7,4 56,8 dmft>0 dt>0 DMFT>0 DT>0 Grafik 1: Kariesprävalenz im Milch- und im bleibenden Gebiss bei Patienten der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) im Vergleich zur psychisch unauffälligen Kontrollgruppe (KG) in Prozent (Karieserfahrung: dmft/DMFT, unbehandelte Karies: dt/DT) Quelle: Dr. Schüler Abbildung 4: Desolate Gebisssituation eines 15-jährigen Patienten, der an einer neurotischen stressbedingten Störung erkrankt war. Foto: Dr. I. M. Schüler 56 Zahnmedizin
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