Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm 108, Nr. 12, 16.6.2018, (1399) denn vorgestellt, wie ich das organisieren soll?!“ Vielmehr wäre es sinnvoll zu erwidern: „Ihren Wunsch kann ich gut nachvollziehen. Aber das müssen wir gemeinsam im Team gut planen. Außerdemmuss ich mit meinem Steuerberater darüber sprechen.“ Eine Lösung könnte dann beispielsweise sein – diesen Fall hatte ich tatsächlich vor Kurzem –, dass der Mitarbeiter zwei Jahre lang seinen Urlaub anspart und anschließend eine längere Aus- zeit nimmt. Oder dass erst gemeinsam ein Ersatz gefunden werden muss. Positiv ist: Wenn Sie als Chef, trotz kleinem Team, ver- suchen, dem Mitarbeiter seinen Wunsch zu ermöglichen, dann bauen Sie damit eine große emotionale Bindung auf. Das heißt – überspitzt formuliert – der Praxisinhaber sollte den Freiheits- drang der Mitarbeiter fördern, um sie an die Praxis zu binden? Im Endeffekt ja. Freiheit und Sicherheit haben für die meisten Mitarbeiter einen extrem hohen Stellenwert. Und tatsächlich haben wir sogar festgestellt, dass die meis- ten Mitarbeiter dies gar nicht einfordern – selbst wenn sie es tun könnten. Es ist wie beim IKEA-Konzept: Die Kunden können jeden Artikel ein halbes Jahr lang umtauschen. Einfach so. Doch kaum ein Kunde baut sein Sofa nach fünf Monaten wieder ab. Noch irrwitziger geht der Ver- sandhandel Lands‘end vor. Dort hat der Kunde eine lebenslange Umtauschgarantie. Ich kann heute also ohne Probleme die Kinderschuhe meines 15-jährigen Sohnes zurückschicken. Aber auch hier gilt: Die Kunden schicken die Sachen nicht zurück! Übertragen auf unsere Mitarbeiter heißt das: Ich gebe ihnen die Freiheit und die Sicher- heit, ihren Urlaub zwei Jahre lang anzu- sparen, um sich dann eine sechsmonatige Auszeit zu nehmen. Viele Mitarbeiter schät- zen diese Freiheit, fühlen sich und ihre Bedürfnisse wertgeschätzt – nehmen das Angebot aber nicht unbedingt in Anspruch. Eine Besonderheit sind die Azubis. Früher galt der Beruf der ZFA als Traumjob, heute möchten viele nur noch irgendeine Ausbildung machen, völlig egal in welchem Job. Wie kann ? ? man jene Azubis motivieren und an sich binden, die nun wirklich nicht mit voller Inbrunst bei der Sache sind? Ich finde, dass die meisten jungen Menschen leider völlig frustriert, desillusioniert und demotiviert aus der Schule kommen. Die Persönlichkeit wird in der Schule weder gefördert noch gefordert. Das war früher schon so und ist heute immer noch so. Und das hat nichts mit unseren Lehrern zu tun, sondern mit unserem System. Aber zurück zum Thema: Nun kommen diese völlig frustrierten, desillusionierten und de- motivierten jungen Leute in die Zahnarzt- praxis – nicht weil, sie total Bock darauf haben, sondern nur, um irgendeinen Aus- bildungsplatz zu haben. Das ist tatsächlich ein Desaster. Praxisinhaber müssen hier klar ihre Rolle sehen: nämlich diesen jungen Menschen ein zweites Elternhaus zu bieten. Auszubildende sind unglaublich bedürftig. Sie brauchen Fürsorge und gelegentlich einen Tritt in den Hintern. Sie brauchen Klar- heit und brauchen vor allem erst einmal die Begeisterung für den Beruf. Woher sollen sie die denn auch haben? Es ist meine Aufgabe, bei meinen Azubis das Feuer zu entzünden! Ich bin diejenige, die ihnen vermitteln muss, warum dieser Beruf so toll ist. µ Auszubildende sind unglaublich bedürftig. Sie brauchen Fürsorge und gelegentlich einen Tritt in den Hintern. Ein Beispiel: Eine mir bekannte Praxismana- gerin macht dies sehr gut, wie ich finde. Sie geht jedes Jahr mit den neuen Azubis erst- mal einen Tag in den Freizeitpark, um sich besser kennenzulernen. Dort erzählt sie, was der Job beinhaltet, wie viel Spaß er machen kann, welche Verdienst- und Weiterbildungs- möglichkeiten es gibt und was das Team von den Azubis erwartet. Solch eine Auseinander- setzung finde ich tatsächlich super! Denn die meisten Azubis bekommen in der Praxis doch erst einmal einen Schock. Sie kommen aus der Schule, wo sie auch mal die eine oder andere Stunde schwänzen konnten, in ein Arbeitsleben von 9 bis 17 Uhr, noch dazu in ein Team, das sie nicht kennen. Genau dort muss ich die Azubis abholen! Ich muss ihnen erzählen, wie toll es hier ist, dass es normal ist, vielleicht auch traurig zu sein, oder sich wie in einer Gefangenschaft sich zu fühlen. Denn seien wir ehrlich: All diese Erfahrungen kennen wir doch selbst! Und wenn ich diese Erfah- rungen teile, fühlen sich meine Azubis auch emotional gebunden. Nichts ist schlimmer, als einem neuen Azubi einen Kittel anzuzie- hen und ihn in die Ecke zu stellen, damit er zugucken kann – meiner Ansicht nach! Dennoch läuft es wahrscheinlich in einem Großteil der Praxen genau so. Vermutlich ja. Deshalb lassen Sie mich von folgendem Beispiel berichten: Der Hotelier Bodo Janssen aus Ostfriesland konnte seinen Umsatz verdoppeln, nachdem er zuvor fest- gestellt hatte, wie schlecht er sein Team eigentlich führte. Durch eine Mitarbeiter- umfrage ist ihm bewusst geworden, dass er als Führungskraft unglaublich viele Fehler gemacht hatte und seinen Mitarbeitern nicht wertschätzend gegenübergetreten war. Nach diesem Schock ging er ins Kloster. Zurück kam er mit einer neuen Haltung und einer neuen Strategie. Zum Beispiel hat Janssen mit seinen Azubis, um sie emotional und langfristig an sein Unternehmen zu binden, ein Training absolviert, um mit ihnen anschließend den Kilimandscharo zu besteigen. Mit den Auszubildenden! Das muss man sich mal vorstellen! Da ist doch logisch, dass die auch nach der Ausbildung in seiner Firma bleiben! Meine Tochter macht gerade ein Praktikum bei ihm, daher weiß ich, dass sie aktuell die neuen Azubis darauf vorbereiten, in die Arktis zu gehen. Wow! Auch hier sieht man: Es kommt auf die Hal- tung an. Sehe ich meine Azubis als Mitarbei- ter, die ich möglichst lange an mein Unter- nehmen binden möchte – oder lediglich als billige Arbeitskraft? Dann darf ich mich aber auch nicht wundern. ? Ein weiteres Interview mit Regina Först zur Frage „Wie werde ich ein guter Chef?“ „Denken Sie wie Jogi Löw!“ M EHR AUF ZM - ONLINE zm 108, Nr. 12, 16.6.2018, (1399) 87

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=