Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 108, Nr. 12, 16.6.2018, (1405) im Nationalsozialistischen Deutschen Ärzte- bund (NSDÄB) und gehörte dem (1935 aus dem NSLB als eigenständige Organisation hervorgegangenen) Nationalsozialistischen Dozentenbund an. Er trug als Dekan der Medizinischen Fakultät an der Universität Breslau die Verantwortung für umfassende „Säuberungsaktionen“ an der Fakultät. Gemäß eines Protokolls vom 9. März 1934 sollten etwa nach Eulers Empfehlung 15 von 20 „nichtarischen“ Hochschullehrern der Medizinischen Fakultät „eliminiert“ werden [Staehle/Eckart, 2005 und 2008]. 1934 skizzierte er die Rolle der DGZMK nach der politischen Gleichschaltung mit folgenden Worten [Euler, 1934]: „Viel weiter sind jetzt ihre Grenzen gesteckt, ganz neue Aufgaben und Möglichkeiten sind ihr erwachsen, seit auch sie […] in den gemein- samen Stand im neuen Reich eingegliedert worden ist. Mit dem neuen Aufgabengebiet wurde ihr ein Vertrauen ausgesprochen, das würdig ist der 75-jährigen Tradition. Nun heißt es erst recht arbeiten und sich des Vertrauens würdig erweisen.“ Ernst Klee [2013] verweist in seinem „Per- sonenlexikon zum Dritten Reich“ auch auf Eulers Beiratstätigkeit in der 1942 gegrün- deten „Deutschen Gesellschaft für Konstitu- tionsforschung“. Erwähnenswert erscheint außerdem die von Euler betreute und von Viktor Scholz (1940) verfasste Doktorarbeit „Über die Möglichkeit der Wiederverwen- dung des Goldes im Munde der Toten“. In besagter Dissertation werden das Staats- interesse an der Rekrutierung beziehungs- weise dem Erhalt von Gold sowie dessen bedeutende Rolle als Wirtschaftsfaktor herausgestellt. Die Arbeit trug dazu bei, die Plünderung des Zahngoldes ermordeter Menschen hoffähig zu machen. Trotz dieser vielfältigen Hinweise auf die po- litische Verstrickung Eulers in den National- sozialismus wurde er im Nachkriegs- deutschland von Fachkollegen als politisch völlig unbeteiligt geschildert. Eulers Auto- biografie trug hierzu maßgeblich bei, denn er zeichnet von sich das Bild eines politisch unbeteiligten Hochschullehrers, der seinen fachlichen Aufgaben im „Dritten Reich“ ohne wesentliche Einschränkungen oder Veränderungen nachgegangen sei [Euler, 1949]. Er beschreibt sich als völlig unpoli- tische Person, die 1933 gegen ihr eigentliches Bestreben als DGZMK-Präsident bestätigt worden sei. Zudem behauptet er retro- spektiv, selbst von der NSDAP kritisch be- äugt worden zu sein. So betont er, 1935 auf Betreiben der NSDAP trotz eines ersten Listenplatzes nicht nach Leipzig berufen worden zu sein [Euler, 1949]: „Da erhob eine maßgebliche parteipolitische Stelle so nachdrücklich Einspruch gegen meine Per- son, da ich politisch zu ungeeignet sei, daß tatsächlich von der Erteilung eines Rufes an mich Abstand genommen wurde.“ Seine Rolle bei den „Säuberungen“ in Bres- lau erwähnt Euler in der Autobiografie mit keinem Wort. Auch die NS-Gesundheits- politik wird nicht thematisiert – bis auf eine irritierende Bemerkung zur Euthanasie. So führt Euler aus, er verstehe unter Euthanasie „natürlich nicht das [,] was im 3. Reich aus diesem Begriff bei Geisteskranken gemacht wurde“, sondern denke an folgenden An- wendungsfall: „Ein älterer Mann, unheilbar geisteskrank, ja nicht einmal besserungs- fähig, für seine Familie nicht nur wirtschaft- lich, sondern auch sonst für die Zukunft einzelner Familienangehöriger eine außer- ordentliche Belastung, bekommt ein in- operables Karzinom. Kann in diesem Falle die Euthanasie nicht wirklich das werden, was ihr Wortlaut sagt?“ [Euler, 1949]. Be- sagte Bemerkungen erinnern in Inhalt und Wortwahl („nicht besserungsfähig“, „wirtschaftliche Belastung“) auffällig an das unter dem Schlagwort „Ballastexistenzen“ geführte Argumentationsmuster der Natio- nalsozialisten. Eulers geschönte Autobiografie verfehlte ihre Wirkung nicht. So äußerte Maretzky 1961 in einem Nachruf auf Euler: „Es war ein besonderes Glück, dass er, der dem Nationalsozialismus seinem ganzen Wesen nach innerlich völlig fern stand, sich bewegen ließ, die Stellung als Leiter der wissenschaftlichen Organisation auch in den Jahren fest in der Hand zu halten, in denen die Wissenschaft vielfach politisch bevormundet wurde. Es wurde dadurch der deutschen Zahnheilkunde und ihrem inter- nationalen Ansehen viel Schaden erspart.“ In den folgenden Jahrzehnten hatte das hier skizzierte Euler-Bild Bestand [Harnisch, 1961; Wasserfuhr, 1969]. Erst 1998 revidierte sich das Bild Erst Ekkhard Häussermann wies 1998 in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ darauf hin, dass Euler die Karrieren jüdischer Fachkollegen negativ beeinflusst und eine maßgebliche Rolle bei der „Entjudung“ der Medizinischen Fakultät der Universität Breslau gehabt habe. Es folgten kritische Äußerungen und Hinweise unter anderem von Groß [1999], Wündrich [2000], Stöckel [2002] und Bruziewicz- Miklaszewska [2004] sowie entsprechende Angaben zu Euler in einzelnen einschlägigen Lexika [Voswinckel, 2002; Klee, 2013]. Ein vielschichtiger, kritischer Beitrag von Staehle/ Eckart [2005] über Euler führte dann zu der Entscheidung des damaligen DGZMK- Vorstands, ein Gutachten zur Rolle Eulers im „Dritten Reich“ einzuholen. Konkreter Anlass war die Frage, ob die Vergabe der 1955 eingeführten „Hermann-Euler-Medaille“ künftig noch zu rechtfertigen sei. Der Gut- achter verneinte [Groß, 2005]. Auf Beschluss der DGZMK wird seit nunmehr elf Jahren statt der „Hermann-Euler-Medaille“ die „DGZMK-Ehrenmedaille“ vergeben. Univ.-Prof. Dr. mult. Dominik Groß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät RWTH Aachen University, MTI II Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 93
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