Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
zm 108, Nr. 14, 16.7.2018, (1652) Der Fall: An mehreren deutschen Universi- tätszahnkliniken wird eine groß angelegte multizentrische klinische Studie zu Einzel- zahnimplantaten für die Fixierung einer Vollprothese im zahnlosen Unterkiefer durchgeführt. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte und gerade verlängerte Studie verspricht wichtige Erkenntnisse, die international publiziert werden und die klinische Evidenz- lage in diesem Bereich deutlich verbessern sollen. Als die Vorbereitungen zu den 5-Jahres- Nachuntersuchungen getroffen werden, taucht ein Problem mit dem zuständigen Datenschutzbeauftragten des leitenden Studienzentrums auf: Er vertritt die Ansicht, dass es der Studienleitung im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz nicht erlaubt sei, die Gründe zu erfassen, die zum Aus- scheiden einzelner Patienten aus der Studie („Lost to follow-up“) geführt hätten (etwa Tod, Krankheit, Umzug, Zeitmangel etc.). Weder die betreffende Datenerhebung noch die Datenverarbeitung seien zulässig – es sei denn, der betreffende Patient habe explizit der Erfassung in einer derartigen „Negativliste“ zugestimmt. Demnach dürfe selbst die aktive Mitteilung eines Angehöri- gen, dass ein Patient verstorben sei, nicht registriert werden. Der Studienleiter reagiert irritiert: Er ver- weist darauf, dass jeder Patient initial in die Studienteilnahme und Datenerfassung eingewilligt habe. Zudem erfolge die betref- fende Auswertung anonym – also ohne An- gabe von Personendaten – und schließlich sei die Antwort auf die Frage nach den Gründen des Ausscheidens vollkommen frei- willig. Außerdem gibt er zu bedenken, dass mittlerweile nahezu alle internationalen Journals beim Einreichen einer Publikation das „CONSORT*-Statement“ verlangten, das explizit nach den Gründen eines Aus- scheidens frage („Excluded from analysis, give reasons“, siehe Abbildung). Insofern seien auch die Möglichkeiten, die Studien- ergebnisse adäquat zu publizieren, berührt. Wie sind die skizzierten gegenläufigen Posi- tionen normativ – das heißt ethisch und rechtlich – zu bewerten und wie sollte sich der Studienleiter verhalten? Univ.-Prof. Dr. med. dent. Matthias Kern Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Arnold-Heller-Str. 16, 24105 Kiel mkern@proth.uni-kiel.de Dominik Groß, Matthias Kern, Karin Groß und Ludger Figgener Klinische Studien helfen, die Versorgung zu verbessern. Einen hohen Evidenzgrad erreicht man aber nur über die (anonymen) Daten der Probanden. Doch das Recht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung ist ein kostbares Gut. Dürfen/sollten die Gründe für das Ausscheiden bei einem 5-Jahres-Follow-up genannt werden? Müssen die Probanden erneut einwilligen? Foto: Chinnapong – stock.adobe.com Experten präsentieren Fälle mit ethischem Klärungsbedarf. Die klinisch-ethische Falldiskussion Klinische Studien und Datenschutz – Protektion versus Restriktion Univ.-Prof. Dr. med. dent. Matthias Kern Foto: privat Ihre initiale Einwilligung vor Studienbeginn haben die Probanden gegeben. Reicht das datenschutzrechtlich aus oder ist beim 5-Jahres-Follow-up erneut die Zustimmung einzuholen? * „CONSORT“ steht für „Consolidated Standards of Reporting Trials“ und umfasst verschiedene Initiativen, mit denen die wissenschaftliche Berichterstattung über kontrollierte Studien standardisiert und so insgesamt verbessert werden soll.
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