Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
zm 108, Nr. 14, 16.7.2018, (1680) frühzeitig adäquat zu behandeln bis hin zu einer eventuell notwendigen operativen Korrektur eines Herzfehlers. So lässt sich beispielsweise die Sprachentwicklung er- heblich verbessern, wenn Hörstörungen früh erkannt und behandelt werden. Das verdeutlicht die hohe Bedeutung der pädagogischen Frühförderung beim Down- Syndrom. Zum Beispiel können Gebärden während des Sprechens helfen, Verstän- digungsschwierigkeiten zu überwinden. Deshalb sollte man, so der Rat der Kinder- ärzte im Netz, mit den Kindern langsam und deutlich sprechen und das Sprechen mit Gebärden unterstützen. Als besonders wichtig nennt die Organisation zudem einen gezielten Sprachunterricht, der mög- lichst früh einsetzen sollte. Da die Trisomie 21 mit einem verminderten Muskeltonus und längeren Reaktionszeiten bei einfachen Bewegungen einhergeht, sind darüber hinaus krankengymnastische Übungen zum Muskelaufbau und zur grob- und feinmotorischen Bewegungskoordina- tion sehr wichtig. Kinder mit Down-Syndrom brauchen nach Angaben der Organisation zudem generell ausreichend Zeit und viel Einfühlungs- vermögen. Bei Überforderung reagieren sie sehr empfindlich: Kleinere Kinder wen- den sich ab, auch größere entziehen sich. Andererseits sind ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten meist sehr gut entwickelt, insbesondere im Umgang mit ihren Mitmenschen, aber auch bei der Beachtung von Regeln. Sie können deshalb in integrativen Kindertagesstätten oder sogar Regelkindergärten zurechtkommen, wenn die Gruppengröße überschaubar ist und entsprechende Förderangebote vor- handen sind. Ziel der Förderung soll aus Sicht der Kinderärzte dabei primär „die Entwicklung von Kompetenzen sein, die den Weg für ein möglichst unabhängiges Leben im Erwachsenenalter bereiten“. Christine Vetter Medizinische Fachjournalistin Weiterführende Informationen: \ Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland e.V., www.down-syndrom.org \ Kinderärzte im Netz und Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V., www.kinderaerzte-im-netz.de \ Deutsches Down-Syndrom Infocenter, www.ds-infocenter.de Anatomisch ist bei Vorlie- gen einer Trisomie 21 das mittlere Gesichtsdrittel unterentwickelt. Die faziale und auch die orale Muskulatur, hier besonders die Lippen und die Zunge, sind hypoton. Aufgrund der muskulären Schwäche und einer anterioren, eher niedrigen Position im Mund erscheint die Zunge abnormal groß; eine echte Makro- glossie ist eher selten. Das Zusammenspiel zwischen unterentwickeltemOberkiefer und dem Zungenvolumen führt vielmals zu einer Verlegung der Atemwege mit konse- kutiver Mundatmung sowie einem Kreuz- biss. Ebenso wurde ein lockerer Bandapparat in den Kiefergelenken für Patienten mit Down-Syndrom beschrieben. Weiterhin findet sich bei Patienten mit Trisomie 21 ein dental charakteristisches, allerdings höchst individuelles Erscheinungs- bild. Insgesamt besteht eine – im Vergleich zur gesunden Bevölkerung – bis zu fünf- fach gesteigerte Prävalenzrate dentaler Ab- normalitäten. Als solche sind veränderte Zahnstrukturen und -zahlen, Eruptions- störungen und partielle Anodontien zu nennen. Im Milchgebiss sind die seitlichen Schneidezähne, im permanenten Gebiss die dritten Molaren und die zweiten Prä- molaren oft nicht angelegt. Eine höhere Inzidenz von Karieserkrankungen ist durch Studien nicht eindeutig gesichert. Allerdings sind bei Patienten mit Down-Syndrom höhere Prävalenzen sowie schwerere Aus- prägungen parodontaler Erkrankungen beschrieben. So konnte gezeigt werden, dass bei ungefähr acht Prozent der Kinder unter zwölf Jahren eine Parodontitis vor- liegt. In der gesunden Bevölkerung liegt diese Rate bei weniger als einem Prozent. Die Parodontitis-Prävalenz bei erwachse- nen Trisomie-21-Patienten liegt bereits bei 60 bis 100 Prozent. Ätiologisch werden ein genetisch determiniertes immunologisches Defizit und eine beeinträchtigte Fibro- blastenmotilität verantwortlich gemacht. Zusätzliche maßgebliche Faktoren sind eine nicht ausreichende Kontrolle der bakteriellen Plaques mit einer höheren Besiedlung be- sonderer pathogener Keime, eine gestörte Mastikationsfunktion sowie die bereits be- schriebenen dentalen Anomalien. Fazit für die Praxis Wie bei anderen systemischen Erkrankun- gen besteht auch beim Down-Syndrom eine Beeinträchtigung der oralen Gesund- heit. Aufgrund der steigenden Lebens- erwartung der Patienten ist die zahnärzt- liche Behandlung von zunehmender Wichtigkeit. Analog konnte gezeigt wer- den, dass regelmäßige Prophylaxe- sitzungen das Fortschreiten parodontaler und oraler Erkrankungen beim Down-Syn- drom effektiv unterbinden oder verzögern können. Besonders bei Patienten mit schweren geistigen Beeinträchtigungen entstehen oftmals zusätzlich deutliche Schwierigkeiten bezüglich der adäquaten oralen Hygiene. Sollte eine Kooperation zwischen Behandler und Patienten primär nicht möglich sein, ist die Intervention unter Sedierung oder gar Vollnarkose eine gute Alternative. Vor einer Behandlung in Intubationsnarkose müssen selbst- verständlich die beim Down-Syndrom erhöhten Risikofaktoren mit dem zu er- wartenden Nutzen abgewogen werden und der behandelnde Kinderarzt/Internist kontaktiert werden, denn nicht selten ist dem Down-Syndrom eine Herzproblematik assoziiert. PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, M.A., FEBOMFS Stellvertretender Klinikdirektor/Leitender Oberarzt Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de Aus Sicht der Zahnmedizin Orofaziale Abnormalitäten bei Trisomie 21 80 Medizin
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=