Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15

zm 108, Nr. 15-16, 16.8.2018, (1726) Eine „bedarfsgerechte Steuerung“ empfiehlt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung imGesundheitswesen (SVR) in seinem neuen Gutachten. Das Pensum ist gewaltig: Auf rund 780 Seiten gibt er mehr als 70 Einzelempfehlungen. Der Grundge- danke: Trotz aller Reformgesetze der ver- gangenen Jahre gibt es weiterhin ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehl- versorgung. Deshalb halten die Gutachter eine gezielte – und nicht unbedingt mehr – Steuerung für notwendig. Eine Reform der Notfallversorgung gilt dabei als Leucht- turmprojekt für die sektorenübergreifende Versorgung. Alle Bürger sollen zukünftig rund um die Uhr – möglichst über eine bun- deseinheitliche Rufnummer – einfach und schnell kompetente Ansprechpartner in In- tegrierten Leitstellen (ILS) erreichen. In den ILS sollen sowohl alle akuten Notrufe (112) als auch alle Anrufe für den Bereitschafts- dienst der niedergelassenen Ärzte (116117) zusammenlaufen. Erfahrene Fachkräfte, un- terstützt durch breit weitergebildete Ärzte, sollen eine qualifizierte Ersteinschätzung/ Sichtung (Triage) vornehmen. Gehfähigen Patienten mit akutem Behandlungsbedarf werden kurzfristig Termine in Praxen nieder- gelassener Ärzte vermittelt oder sie erhalten von der ILS einen Soforttermin in einem Integrierten Notfallzentrum (INZ), das an einer qualitativ besonders geeigneten, nahe gelegenen Klinik ebenfalls rund um die Uhr erreichbar ist. Für Reformen im ambulanten Sektor schla- gen die Gutachter umfangreiche organisa- torische Änderungen vor, um die Inan- spruchnahme besser zu steuern. Sie emp- fehlen, dass Hausärzte die Koordination und den größten Teil der Patientenbetreuung übernehmen. Die Teilnahme an der hausarzt- zentrierten Versorgung soll zur Regel werden, Gutachten des Sachverständigenrats zur Entwicklung im Gesundheitswesen Man muss „bedarfsgerecht steuern“ Der Sachverständigenrat macht in seinem neuen Gutachten Vorschläge, wie das deutsche Gesundheitswesen in den nächsten Jahren verändert werden soll. Im Vordergrund stehen die Notfallversorgung und eine bessere sektorenübergreifende Ver- sorgung. Einen expliziten Bezug zur Zahnmedizin gibt es zwar nicht, dennoch schlagen die Gutachter Maßnahmen vor, die auch den zahnärztlichen Bereich tangieren. Im Kern geht es um eine bessere Patientensteuerung. Welchen Stellenwert hat für den Sachverständigenrat die Digitalisierung und welche Aspekte sind dabei für den Ver- sorgungsalltag besonders wichtig? Prof. Dr. Ferdinand Gerlach : Die Digitalisierung wird die medizini- sche Versorgung der Zukunft tiefgreifend verändern. Besonders weitreichend sind etwa Big-Data-Analysen mithilfe von Künstlicher Intelligenz, neue Anbieterstrukturen und Geschäftsmodelle durch Plattformökonomie sowie Robotik-Anwendungen oder 3-D-Druck. Auch Themen wie Social Bots oder telemedizinische Fernbehand- lung werden uns alle noch beschäftigen. Für den Praxisalltag be- sonders vordringlich ist die dringend notwendige Realisierung einer sektorenübergreifenden Patientenakte, die dann auch die zahn- ärztliche Versorgung integrieren sollte. Welche Rolle messen Sie der Stärkung der Gesundheitskom- petenz bei – welche Schritte sollten hier erfolgen? Die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Patienten ist seit Lan- gem ein wichtiges Thema in den Gutachten des Rates. Unsere Empfehlungen reichen von einer Gesundheitsbildung in Schulen über betriebliche Gesundheitsförderung bis hin zur Etablierung eines unabhängigen nationalen Gesundheitsportals, in dem Bürgerinnen und Bürger barrierefrei unabhängige, wissenschaft- lich fundierte und zugleich allgemeinverständliche Informationen finden. Wie beurteilen Sie die Entwicklung bei den ärztlichen MVZ? Und können Sie etwas zur Entwicklung bei den MVZ im zahnärztlichen Bereich sagen? Wir begrüßen grundsätzlich teamorientierte Versorgungsmodelle, in denen verschiedene Disziplinen und Professionen unter einem Dach zusammenarbeiten und die dem ärztlichen Nachwuchs attraktive Tätigkeitsmodelle anbieten können. Mit Sorge beobach- ten wir Konzentrationsprozesse und Kettenbildungen bis hin zur regionalen Monopolisierung ganzer Versorgungsbereiche. Wir wissen, dass es auch im zahnärztlichen Bereich solche Tendenzen gibt, haben uns im Rahmen des jetzigen Gutachtens aber nicht näher damit beschäftigt. pr Prof. Dr. Ferdinand Gerlach ist Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. ? ? ? „Mit Sorge beobachten wir Konzentrationsprozesse und Kettenbildungen“ 3 Fragen an Prof. Dr. Ferdinand Gerlach 14 Politik

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