Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15

zm 108, Nr. 15-16, 16.8.2018, (1787) Die Vielzahl der unterschiedlichen Symptome hat neben der offensichtlichen großen Aus- wirkung auf das Allgemeinbefinden und die Organisation des Alltags der Betroffenen und ihrer Angehörigen auch Einfluss auf die Fähigkeit zur Mundhygiene, die Organisation des Besuchs der Zahnarztpraxis und die praktische zahnärztliche Behandlung und Therapieplanung. Neben den motorischen Einschränkungen (insbesondere in den spä- teren Krankheitsphasen), die das Zähne- putzen erschweren, können Probleme wie fehlende Selbstwahrnehmung, kognitive oder Antriebsstörungen einer optimalen häuslichen Mundhygiene zusätzlich entgegenstehen. Therapiemöglichkeiten Unterschieden werden kann zwischen einer prämotorischen und einer motorischen Krankheitsphase. In der prämotorischen Phase, das heißt vor Ausbruch der Kardinal- symptome, klagen viele Patienten über Riechdefizite, Schlafstörungen oder Ver- dauungsprobleme [Braak et al., 2005]. Diese sogenannten Frühsymptome treten lange vor den typischen motorischen Auf- fälligkeiten auf. Zu Beginn der motorischen Phase gibt es zunächst eine in der Regel gut zu therapie- rende Zeitspanne von etwa sieben bis zehn Jahren, „Honeymoon-Phase“ genannt. Aus klinischer Erfahrung unterscheidet sich die zahnärztliche Therapieplanung und Behand- lung in dieser Zeitspanne wenig von der eines gesunden gleichaltrigen Patienten. Es besteht ein gutes Ansprechen auf die Parkin- son-Medikation, die Symptome werden fast vollständig kompensiert und die Patienten fühlen sich nur minimal beeinträchtigt. The- rapeutisch werden initial zumeist L-Dopa (über 70-jährige Patienten) oder Dopamin- agonisten (jüngere Patienten) eingesetzt, im Verlauf stehen auch andere Substanz- gruppen zur Verfügung, zum Beispiel COMT- oder MAO-Hemmer. Die medikamentöse Therapie unterdrückt die Symptome und stellt keine kausale Therapie dar. Wichtig für die zahnärztliche Behandlung ist bei der Therapie mit L-Dopa-haltigen Mitteln, dass nur Lokalanästhetika ohne Adrenalinzusätze verwendet werden (wie Mepivacain). L-Dopa beziehungsweise das daraus entstehende Dopamin sensibilisiert die Herzmuskulatur gegenüber Adrenalin, was bei Adrenalin- haltiger Lokalanästhesie dann häufiger zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Nach der Honeymoon-Phase kommt es zu einer deutlichen Verschlechterung der Symptome mit Wirkschwankungen [Stocchi et al., 2010] und zu einem gehäuften Auf- treten von kognitiv-mnestischen Defiziten und gegebenenfalls auch zu psychiatrischen Symptomen. Auch für die zahnärztliche Behandlung stellt dieser Übergang von der Honeymoon-Phase zur Phase mit vermehr- ten Wirkschwankungen einen Wendepunkt dar. Der Übergang in diese Phase ist oft nicht vorherzusehen und kann relativ rasch erfol- gen, mit einer drastischen Verschlechterung der Mundhygienefähigkeit und einem negativen Einfluss auf die Mundgesundheit. Eigene Untersuchungen zeigen, dass die Häufigkeit der mundgesundheitsspezifischen Symptome wie Mundtrockenheit, vermehr- ter Speichelfluss (Drooling) oder Schluck- störungen (Dysphagie) nach etwa acht Jahren deutlich ansteigt [Barbe, Heinzler et al., 2017]. Mit dem Beginn der späteren Krankheits- phasen können die Erreichbarkeit der Praxis, die mögliche Dauer der Therapiesitzungen und die Lagerung auf dem Behandlungs- stuhl schwieriger werden. Es bietet sich an, gerade in diesem Zeitraum etwa bei der Re- call-Planung kürzere Intervalle und kürzere Termine in Erwägung zu ziehen und auch die Frequenz von PZR und zahnärztlicher Untersuchung zu erhöhen [Muller et al., 2011], selbst wenn noch kein akutes zahn- medizinisches Problem vorliegt. Sicher spielt auch eine Rolle, dass bei der Selbst- wahrnehmung der Patienten die Mundhöhle häufig – verständlicherweise – ein unter- geordnetes Problem darstellt, insbesondere im Zusammenspiel mit der Verschlechterung der anderen Symptome, die einen Hauptteil der Aufmerksamkeit beanspruchen [Barbe, Heinzler et al., 2017]. Hier kann ein geschul- tes Praxisteam helfen, im Rahmen von häufi- ger Remotivation auch die Angehörigen für die Probleme zu sensibilisieren. In diversen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass Par- kinsonpatienten häufiger als die Normal- bevölkerung insbesondere an unbehandel- ter Karies und Parodontitis sowie an Mund- geruch leiden [Hanaoka and Kashihara, 2009; Pradeep et al., 2015; Barbe, Deutscher et al., 2017], zudem treten gehäuft das Burning-Mouth-Syndrom, Kauprobleme und Bruxismus auf [Clifford and Finnerty, 1995; Zlotnik et al., 2015] (Abbildung 1). Auch die Kaufunktion ist in den späteren Krankheitsphasen oftmals gestört, da die Kiefermobilität und die Geschwindigkeit der Kieferbewegungen im Rahmen der motorischen Symptomatik reduziert sind. Rigidität, die eingeschränkte Mobilität von Kiefer und Zunge sowie gegebenenfalls Zittern des Kiefers verhindern den optima- len Kauprozess sowie den Schluckakt [Bakke et al., 2011]. Die Patienten zeigen häufig Probleme hinsichtlich des Prothesenhalts, außerdem treten oft Druckstellen im Zu- sammenhang mit der prothetischen Versor- gung auf, wobei der Verlust der neuromus- kulären Kontrolle einer der Hauptfaktoren für den eingeschränkten Prothesenhalt ist [Clifford and Finnerty, 1995; Nakayama et al., 2004]. Die eingeschränkte Kaufunktion in Kombination mit Prothesen-bedingten Beschwerden trägt zu den Ernährungs- und Schluckbeschwerden maßgeblich bei [Lorefalt et al. 2006]. Abbildung 2: Beispielhafte Darstellung der Tiefen Hirnstimulation Quelle: © Medtronic 75

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